Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1765
Dr. Anton Hofreiter
(A)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Es ist wichtig, dass es Europa gelingt, mit einer Stimme
zu sprechen. Es ist wichtig, dass wir auf die russische
Regierung einwirken – sowohl diplomatisch als auch
wirtschaftlich –, dass sie ihren Kurs ändert.
So wichtig es ist, dass man da einwirkt und entsprechend Druck ausübt: Wir wissen andererseits, dass niemandem daran gelegen sein kann, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt. Die Situation ist brandgefährlich.
Es gab bereits erste Tote. Umstritten ist, was die Ursache
dafür war. Eine zentrale Aufgabe der europäischen Außenpolitik ist es, eine weitere Eskalation auf der Krim zu
verhindern. Jeder Schritt, den wir tun, muss deeskalierend wirken. Deshalb sind Reaktionen, die nervös oder
hysterisch wirken, falsch. Schnellschüsse, auch solche
politischer Natur, können am Ende Menschenleben kosten. Folglich ist es wichtig, dass wir klug und abgewogen reagieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grüne unterstützen den Dreistufenplan der EU.
Wir Grüne sind fest davon überzeugt, dass das Zünden
der zweiten Stufe richtig war. Jetzt sagen viele: Das hilft
alles nichts. Putin ist mit der Annexion der Krim vorgeprescht. Das beeindruckt die russische Regierung überhaupt nicht. – Aber besonnene Reaktionen sind in einer
so schwierigen Krise klug. Will denn irgendjemand fordern, dass man auf Putin’sches Großmaulheldentum mit
(B) gleicher Münze reagiert? Das ist doch keine europäische
Art der Politikgestaltung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber man muss sich klarmachen, dass Putin und die
russische Regierung trotzdem unbeirrt an ihrem Kurs
festhalten. Deshalb ist es wichtig, weitere Schritte zu erwägen, wie man auf die russische Regierung erfolgreich
einwirken kann.
Einen ersten kleinen Schritt gab es bereits: Der Export eines Gefechtsübungszentrums wurde abgesagt.
Aber das reicht nicht. Schauen wir uns an, wie viele
Waffen allein Deutschland nach Russland exportiert hat:
2011 für 140 Millionen Euro, 2012 für 40 Millionen
Euro. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen ein
Waffenembargo in Richtung Russland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schluss sein muss auch mit dem achselzuckenden Darüber-Hinweggehen, dass Investoren, Oligarchen aus
Russland – zum Teil steckt Gazprom dahinter, zum Teil
stecken andere Putin-nahe Investoren dahinter – in großem Umfang Energieinfrastruktur, offensichtlich sogar
zu überhöhten Preisen, ausgerechnet jetzt in Deutschland aufkaufen. Die Regierung tut so, als wenn sie da
machtlos wäre. Erstens stimmt das nicht, und zweitens
ist es jetzt an der Zeit, das Außenwirtschaftsgesetz zu
benutzen und dafür zu sorgen, dass das Erpressungspotenzial nicht noch höher wird. Das heißt: Stoppen Sie
diese Art von Politik!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der CDU/CSU)
(C)
Es ist allerdings auch von großer Bedeutung, dass wir
von Energieimporten insgesamt unabhängiger werden.
Deshalb ist es schlichtweg falsch, was die Bundesregierung gerade macht: Sie würgt die Energiewende ab, sie
stoppt die Energiewende.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da
haben Sie etwas missverstanden!)
Es ist grundfalsch, in welche Richtung sich die Klimapolitik auf EU-Ebene gerade bewegt, nämlich dahin,
Klimaziele abzuschwächen, so zu tun, als wenn die Klimakatastrophe nicht stattfinden würde. Selbst wenn Ihnen der Klimaschutz und das Überleben zukünftiger Generationen nicht so wichtig sind:
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das
ist doch Unsinn! – Christian Petry [SPD]: Das
stimmt doch gar nicht!)
Sie müssten doch wenigstens erkennen, dass es wichtig
wäre, wie sich anhand dieser Krise zeigt, von Importen
fossiler Rohstoffe unabhängiger zu werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie zum EU-Gipfel gehen: Sorgen Sie dafür,
dass es wieder eine koordinierte Energiepolitik gibt!
Frau Merkel, Sie haben selber davon gesprochen, dass
wir einen Energiebinnenmarkt brauchen, dass wir eine
koordinierte Energiepolitik brauchen. Und was machen
Sie? Sie machen das Gegenteil! Früher gab es vernünftige Ziele – sie waren zwar schwach, aber immerhin vor- (D)
handen – für den Ausbau erneuerbarer Energien auf EUEbene für die einzelnen Länder. Sie haben zugelassen,
dass das gestrichen wurde. Was soll denn das Ganze?
Wohin wollen Sie denn damit kommen? Am Ende wird
Frankreich wieder auf Atom setzen, wird Großbritannien
auf Atom setzen; andere Staaten – wie Polen – setzen
stark auf fossile Energieträger. Das erhöht doch nur die
Abhängigkeit von Importen aus Krisenländern. Auch
Uran muss importiert werden. Steinkohle muss weitgehend importiert werden. Selbst bei Erdöl ist Russland einer der größten Exportstaaten, auch für uns. Schon allein
aus Unabhängigkeitsgründen, aus Klimaschutzgründen:
Ändern Sie Ihren Kurs!
Aber auch aus Wettbewerbsgründen sollten Sie Ihren
Kurs ändern. Sie haben viel von der Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Wenn die südlichen Krisenstaaten die
Möglichkeit hätten, Energie selbst zu erzeugen – Europa
importiert für 500 Milliarden Euro fossile Energieträger –, dann hätten sie eine ausgeglichene Handelsbilanz.
Es genügt nicht, von Wettbewerbsfähigkeit zu sprechen;
man muss dafür sorgen, dass diese Staaten eine Perspektive haben. Eine Perspektive ist der Green New Deal,
eine Perspektive sind erneuerbare Energien, und eine
Perspektive ist Energieunabhängigkeit; denn das stärkt
die lokale Wirtschaftskraft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Merkel, ändern Sie Ihren Kurs in Bezug auf die
europäische Politik, was Banken angeht, was erneuer-