Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1763
Thomas Oppermann
(A) Deshalb können wir nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen. Wir können nicht sagen: Das Völkerrecht
und die Souveränität der Ukraine sind uns egal.
Die jetzt verhängten Sanktionen sind eindeutig und
angemessen. Wir reden nicht über Sanktionen, wie sie
vor 20 Jahren in Form umfassender Handelsembargos
verhängt worden sind, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung leiden musste; das kann nicht unser Ziel sein.
Wir reden heute über sogenannte Smart Sanctions, die
sich ganz gezielt gegen einzelne Entscheidungsträger
richten. Die jetzigen Sanktionen auf der Stufe 2 nehmen
die russische Bevölkerung nicht in Mithaftung für das
Handeln ihrer politischen Führung. Aber sie können ein
sehr wirkungsvolles Instrument sein, wenn sie sich gegen politische Entscheidungsträger und oligarchische
Eliten dieses Landes richten. Deshalb begrüßen wir
diese Schritte.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?
Thomas Oppermann (SPD):
Ja, bitte.
(B)
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Oppermann, Sie
haben gerade darüber gesprochen, wie man mit Völkerrechtsbruch umgeht. Die SPD war in der Regierung, als
der Irakkrieg von den USA begonnen wurde, ein völkerrechtswidriger Krieg mit Lügen begründet. Auch Angela
Merkel hat sich damals für eine Beteiligung der Bundesrepublik eingesetzt. Wie sind Sie denn mit diesem Völkerrechtsbruch umgegangen, und welche Sanktionen haben Sie gegen die USA und ihre Koalition der Willigen
wegen dieses massiven Völkerrechtsbruchs beschlossen,
der Hundertausende Tote zur Folge hatte? Der Irak ist
bis heute ein zerschlagenes Land. Meine Frage lautet:
Welche Sanktionen gibt es? Welche Konsequenzen haben diejenigen, die für diesen völkerrechtswidrigen
Krieg verantwortlich sind, zu tragen?
(Beifall bei der LINKEN)
Thomas Oppermann (SPD):
Ich denke, Sie werden noch in Erinnerung haben, dass
Bundeskanzler Schröder und die damalige rot-grüne
Mehrheit des Deutschen Bundestages diesen Krieg eindeutig verurteilt und eine Teilnahme an diesem Krieg
verweigert haben
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
und dafür eine sehr kritische und schwierige Phase in
den Beziehungen zu unserem wichtigsten Bündnispartner in Kauf genommen haben.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gab es Sanktionen?)
(C)
Im Übrigen haben wir keine Sanktionen verhängt, weil
die amerikanischen Militärs nach meiner Kenntnis keine
Gebiete des Irak annektiert oder dauerhaft besetzt haben.
Inzwischen sind die Truppen abgezogen, und das ist
auch gut so.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ich will zu den Sanktionen Folgendes sagen: Es muss
klar sein, dass dann, wenn Russland nicht einlenkt und
weitere Teile der Ukraine bedroht, weitere Maßnahmen
unausweichlich sind. Wir sind uns bewusst, dass Sanktionen auch eine Gefahr für die eigene Wirtschaft darstellen können. Niemand wünscht sich das. Dennoch ist
es richtig, dass die Option schärferer Sanktionen auf
dem Tisch bleibt. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Ulrich
Grillo, für seine klaren Worte vom vergangenen Freitag
dankbar. Er hat zwar seine Vorbehalte gegen Wirtschaftssanktionen offen angesprochen, aber zugleich
klargemacht, dass das Völkerrecht über allem steht und
dass Wirtschaftssanktionen eine Frage der Politik sind.
Dass führende Vertreter der deutschen Wirtschaft so verantwortungsvoll argumentieren und die Einhaltung und
Durchsetzung internationalen Rechts über ihre eigenen
wirtschaftlichen Interessen stellen, ist sehr gut und ein
verantwortungsvolles Zeichen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN])
Gerade deshalb kommt der Politik an dieser Stelle
eine besondere Verantwortung zu. Staatliche Sanktionen,
seien sie wirtschaftlicher Natur oder nicht, müssen so
ausgestaltet sein, dass sie diplomatische Lösungen nicht
behindern. Es darf keinen Automatismus zu einer Sanktionsspirale geben. Für eine politische Bearbeitung des
Konflikts mit Russland darf es niemals zu spät sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Im Übrigen müssen wir selbstverständlich bedenken,
dass Russland auch in Zukunft als internationaler Verhandlungspartner gebraucht wird. Es gibt Konfliktherde
wie den anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien oder die
Atomverhandlungen mit dem Iran, die ohne Mitwirkung
Russlands kaum zu lösen sind.
Das vorrangige Ziel muss es jetzt sein, die weitere
Destabilisierung der Ukraine im Osten und im Süden zu
verhindern. Die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften
besteht nach wie vor. Gestern hat es die ersten Toten gegeben. Wladimir Putin hat am Dienstag erklärt: Wir wollen keine Teilung der Ukraine; wir brauchen das nicht.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Kann man ihm das glauben?)
Wir werden ihn beim Wort nehmen. Deshalb ist es
richtig, dass jetzt auf Vorschlag der Bundesregierung
(D)