Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

(A) Tagen erleben wir, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Gerade in diesen Tagen erleben wir auch,
wie wichtig es ist, dass die Europäische Union immer
wieder zu gemeinsamen Antworten findet. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können. Deshalb arbeitet die Bundesregierung dafür, und ich bitte um Ihre
Unterstützung.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall
bei der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich finde, Sie hätten lieber unseren Entschließungsantrag vorlesen sollen; das wäre inhaltsreicher gewesen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber kommen wir zum Ernst der Lage zurück. Ich
sage: Die Lage ist wirklich ernst im Bezug auf die
Ukraine und Russland, aber nicht hoffnungslos. Die
Krim soll nun, unter Bruch des Völkerrechts, Bestandteil
Russlands werden. Das Verfassungsgericht in Russland
hat
schon zugestimmt; jetzt werden noch die beiden
(B)
Kammern des Parlaments zustimmen. Es ist übrigens
interessant, dass Russland sich keine Gedanken darüber macht, dass dadurch natürlich aufseiten der
Ostukraine, wenn Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstehen, über 1 Million Wählerinnen und
Wähler fehlen – was ja auch Folgen hat. Aber das interessiert Russland nicht.
Wie vorhergesagt, hat sich Putin tatsächlich auf den
Kosovo berufen. Ich bleibe dabei: Die Abtrennung des
Kosovo war ein Bruch des Völkerrechts;

ein Bevölkerungsteil, gegen den Gewalt angewendet (C)
wird –, muss das Recht haben, sein Land zu verlassen –
aber nicht mit Territorium; das geht nur mit Zustimmung
des Staates, zu dem das Territorium gehört. Diesen
Grundsatz haben Sie im Kosovo gebrochen, und dafür
zahlen wir jetzt.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Franz Josef
Jung [CDU/CSU]: Auf der Krim gab es kein
Srebrenica!)
Ich weiß, es gibt auch andere völkerrechtliche Auffassungen, sowohl in Bezug auf den Kosovo als auch in
Bezug auf die Krim. Zum Beispiel wird gesagt, dass
Chruschtschow unter Verletzung sowjetischen Rechts
damals die Krim der Ukraine übergeben hat; er war ja
selbst Ukrainer. Ehrlich gesagt, meine Auffassung ist
dies nicht. Ich sage: In beiden Fällen war bzw. ist es völkerrechtlich nicht legitim.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Hinweis auf die ukrainische Verfassung, der von
Ihnen immer kommt – auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin –, ist nicht besonders glaubwürdig. Sie sagen
auf der einen Seite: Die ukrainische Verfassung verbietet
eine eigene Volksabstimmung auf der Krim ohne Zustimmung der Zentralregierung. – Auf der anderen Seite
interessiert es Sie aber nicht, dass in der ukrainischen
Verfassung steht, dass der Präsident nur mit 75 Prozent
der Stimmen im Parlament abgewählt werden darf – die
nicht zusammenkamen. Also: Entweder die Verfassung
gilt, oder sie gilt nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Heraus kommt auf jeden Fall eines: dass der Übergangspräsident und die Übergangsregierung nicht legitim sind; daran können Sie nichts ändern. Man kann mit
ihnen trotzdem verhandeln – das bestreite ich nicht –;
aber man muss wissen – und es ihnen sagen –, dass sie
nicht legitim sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie wird es weitergehen? Ich sage es Ihnen: Letztlich
werden irgendwann, früher oder später, alle Regierungen
irgendwie akzeptieren, dass die Krim zu Russland gehört.

da können Sie hier über edle Motive erzählen, was Sie
wollen. Soldaten gab es nicht nur auf der Krim, Soldaten
gab es auch im Kosovo. Einen Volksentscheid gab es übrigens nur auf der Krim und nicht im Kosovo.

Nun sagen Sie: Man muss Sanktionen beschließen;
denn wenn man keine Sanktionen beschlösse, dann bedeutete das, eine Völkerrechtsverletzung einfach hinzunehmen. Wirklich?

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/
CSU])

Ich erinnere Sie an ein Beispiel: 1974 besetzten türkische Truppen den Nordteil Zyperns. Das war eindeutig
und unbestritten völkerrechtswidrig. Sie haben damals
nicht eine einzige Sanktion gegen die Türkei beschlossen. Warum nicht? Nur weil die Türkei im Gegensatz zu
Russland in der NATO ist? Warum setzen Sie immer
diese unterschiedlichen Maßstäbe? Warum können wir
nicht mal einheitliche Maßstäbe setzen und anwenden?

Aber ich habe keine Zweifel, dass die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovo die Abtrennung
wollte. Wir können ebenfalls nicht leugnen, dass auch
eine große Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim die
Abtrennung will. Nur ist das für mich – das will ich auch
gleich sagen – kein Grund.
Auf eines möchte ich Sie hinweisen: Aus dem Bruch
des Völkerrechts kann irgendwann im Völkerrecht Gewohnheitsrecht entstehen, und das ist nicht ungefährlich.
Deshalb habe ich Sie damals beim Kosovo so gewarnt.
Ein bedrängter, unterdrückter Bevölkerungsteil – auch

(Beifall bei der LINKEN)
Übrigens: Zypern ist bis heute geteilt.
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sagen Sie doch mal etwas zu Putin!)

(D)

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