Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

(A) kann jetzt nicht auf alle Details eingehen, möchte aber
sagen: Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen in Europa, bei denen wir Sorge haben müssen, ob wir im weltweiten Wettbewerb wirklich noch führend sind. Wenn
ich mir die gesamte digitale Wirtschaft anschaue, stelle
ich fest, dass wir einen erheblichen Nachholbedarf haben. Deshalb werden wir uns von deutscher Seite sehr
stark dafür einsetzen, dass der digitale Binnenmarkt
möglichst schnell geschaffen wird. Wir wissen, dass wir
Rahmenbedingungen schaffen müssen – in Form von
Forschung und Entwicklung –, und wir wissen, dass wir
etwas tun müssen, um die Bürokratie abzubauen. Deshalb begrüßen wir die Initiative REFIT der Europäischen
Kommission, mit der zum ersten Mal Bürokratie abgebaut wird, und deshalb weisen wir darauf hin, dass alle
Verfahren, die in diesen Zeiten, in denen der weltweite
Wettbewerb wirklich hart ist, die Lage für unsere Unternehmen erschweren, wirklich unterbleiben müssen.
Dazu gehören auch sehr harte Diskussionen über den
Umgang mit der energieintensiven Industrie, die von uns
im Zusammenhang mit der Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes und der Frage des Beihilfeverfahrens
jetzt geführt werden, insbesondere vom Bundeswirtschaftsminister. Ich kann nur sagen: Da die Energiepreise in den Vereinigten Staaten von Amerika heute
deutlich niedriger sind als in Europa – um die Hälfte,
zum Teil weniger als die Hälfte –, müssen wir die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen – das muss
uns die Europäische Kommission ermöglichen –, dass
zumindest die Unternehmen, die im internationalen
Wettbewerb stehen und in Europa wettbewerbsfähig
(B) sind, im internationalen Wettbewerb bestehen können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Es macht doch keinen Sinn, wenn wir auf der einen Seite
über die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und
über neue, gute, qualifizierte Arbeitsplätze sprechen und
auf der anderen Seite die Rahmenbedingungen so setzen,
dass die Unternehmen im weltweiten Wettbewerb erkennbar nicht bestehen können. Deshalb hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie die EEG-Umlage
insgesamt nicht als Beihilfe sieht. Trotzdem müssen wir
natürlich vorsorglich mit der Kommission verhandeln.
Denn unsere Unternehmen brauchen Investitionssicherheit, und die notwendigen Befreiungsbescheide müssen
im Sommer des Jahres verschickt werden. Ansonsten
werden Investitionen unterbleiben. Die Verhandlungen
sind kompliziert. Ich bitte ganz einfach um breite Unterstützung auch aus diesem Hause.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir werden uns bei diesem Europäischen Rat zudem
dafür einsetzen, dass die EU eine führende Rolle bei der
Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung einnimmt und jetzt zügig die Erweiterung der Zinsbesteuerungsrichtlinie verabschiedet sowie die Verhandlungen mit den europäischen Drittstaaten entschlossen
voranbringt. Wir haben hier positive Signale aus
Luxemburg, und wir werden schauen, dass wir möglichst schnell vorankommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind, glaube ich, in (C)
diesem Hause mit sehr breiter Mehrheit davon überzeugt, dass die Erfordernisse einer starken und wettbewerbsfähigen europäischen Industrie einen ambitionierten Klimaschutz beinhalten, dass sich diese beiden
Dinge also nicht widersprechen, sondern sehr gut in Einklang zu bringen sind. Darum geht es auch in der laufenden Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der europäischen Klima- und Energiepolitik. Hier ist der
heutige Europäische Rat, wenn es auch noch keine abschließende Beschlussfassung geben wird, eine wichtige
Etappe. Er ist eine wichtige Etappe, weil es auch um die
internationalen Klimaverhandlungen und die internationale Klimakonferenz am Ende des nächsten Jahres in Paris geht, die wir durch unsere europäischen Beschlüsse
natürlich auch unterstützen wollen.
Die Europäische Kommission hat im Januar dieses
Jahres eine EU-interne Treibhausgasminderung um
40 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 und einen Anteil
der erneuerbaren Energien von mindestens 27 Prozent
vorgeschlagen. Diese Vorschläge sind die Basis für unsere Beratungen. Es ist kein Geheimnis, dass wir uns in
einigen Teilen ambitioniertere Vorschläge der Kommission hätten vorstellen können, insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber wir werden vor allen Dingen darum ringen müssen, dass wir zu einer
gemeinsamen Beschlussfassung kommen. Deutschland
setzt sich hier sehr intensiv ein. Wir wollen, dass ein
starkes Signal von Europa ausgeht, um besagte Klimakonferenz in Paris deutlich zu unterstützen. Dass diese
Verhandlungen schwierig werden, auch innerhalb der
Europäischen Union, kann ich Ihnen jetzt schon voraus- (D)
sagen. Aber wir werden dafür werben, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihren Beitrag zum
Klimaschutz leisten.
Meine Damen und Herren, wir werden beim Europäischen Rat natürlich auch über die Energieversorgungssicherheit sprechen. Gerade im Zusammenhang mit den
Ereignissen in der Ukraine spielt dieses Thema insbesondere für unsere östlichen Nachbarn eine große Rolle.
Wir müssen mit Nachdruck und Hochdruck an einem europäischen Energiebinnenmarkt arbeiten. Hier sind in
den letzten Jahren, auch durch die Initiativen des EUKommissars Günther Oettinger, vielfältige Verbesserungen erfolgt. Aber unsere Anstrengungen müssen fortgesetzt werden, um unsere Energiebezugsquellen und
Transportwege weiter zu diversifizieren und unsere Importabhängigkeiten weiter zu verringern. Dazu müssen
wir neben den Möglichkeiten des Energieimports auch
die Möglichkeiten der Energieeffizienz ins Auge fassen.
Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist
natürlich auch ein Beispiel dafür, wie man unabhängiger
wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Der Netzausbau ist eine zentrale Voraussetzung, das Ziel
eines EU-Energiebinnenmarkts zu verwirklichen; deshalb wird es auch genau darum gehen.
Sie sehen an der Themenstellung – erst recht, wenn
das Thema Ukraine noch hinzukommt –, welch kompak-

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