Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
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Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) – den die Kanzlerin nicht verlesen wird.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]:
Sie sind aber billig zu erheitern!)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu stelle ich Einvernehmen fest.
Damit erteile ich nun das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela
Merkel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung eines
Frühjahrsrates der europäischen Staats- und Regierungschefs steht in der Regel die Frage, wie wir die
Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und damit die
Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung verbessern können. Das wird auch dieses Mal so sein, und doch
steht dieser Rat auch wieder ganz im Zeichen anderer
Ereignisse; er steht im Zeichen der Entwicklungen in der
Ukraine.
Die Entwicklungen führen uns nachdrücklich vor Augen, wie verletzbar der Schatz von Frieden in Freiheit in
Europa auch über ein halbes Jahrhundert nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist. Wir hatten ge(B) glaubt, dass sich 25 Jahre nach dem Fall der Berliner
Mauer der Friedensauftrag der europäischen Einigungsidee gleichsam umfassend erfüllt habe, und wir haben
schon beinahe vergessen, dass der letzte Krieg auf dem
europäischen Kontinent, dem westlichen Balkan, noch
keine Generation her ist. Es grenzt an ein Wunder, dass
sich viele Völker Europas nach Jahrhunderten des Blutvergießens und den Schlachten vor fast 60 Jahren zu ihrem Glück vereint haben. Wie kostbar dieses Glück ist,
erleben wir gegenwärtig in der Ukraine.
Das sogenannte Referendum am vergangenen Sonntag auf der Krim entsprach weder den Vorgaben der
ukrainischen Verfassung noch den Standards des Völkerrechts.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Jan van Aken [DIE LINKE])
Die Stellungnahmen von OSZE und Europarat dazu sind
eindeutig; Russland ist in allen internationalen Organisationen weitgehend isoliert.
Das Ergebnis dieser sogenannten Abstimmung auf
der Krim wird die internationale Völkergemeinschaft
nicht anerkennen. Es handelt sich um einseitige Veränderungen von Grenzen. Die Annahme eines entsprechenden Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat scheiterte, wenig überraschend, am russischen Veto. Dass alle
anderen Sicherheitsratsmitglieder für die Resolution
stimmten oder sich, wie China, enthielten, spricht jedoch
eine deutliche Sprache.
Die Europäische Union hat am vergangenen Montag (C)
beim Rat der Außenminister mit ersten gezielten Sanktionen reagiert und gegenüber 21 Personen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit
der Ukraine bedrohen oder unterminieren, Reisebeschränkungen und Vermögenssperren ausgesprochen.
Einen Tag später erfolgten die Anerkennung der sogenannten Unabhängigkeit der Krim durch Russland und
der Vertragsschluss zu einem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation, also weitere völkerrechtswidrige
Schritte gegen die Einheit der Ukraine. Sie erfordern die
entschlossene wie geschlossene Antwort Europas und
seiner Partner:
Erstens. Auf dem heute beginnenden Europäischen
Rat werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union weitere Sanktionen der von uns vor zwei
Wochen beschlossenen Stufe 2 festlegen. Dazu gehört
eine Ausweitung der Liste von verantwortlichen Personen, gegen die Reisebeschränkungen und Kontensperrungen in Kraft gesetzt werden.
Darüber hinaus werden wir Konsequenzen für die
politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland
sowie in den nächsten Tagen auch der G 7 zu Russland
ziehen. Denn es ist doch offenkundig: Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G 8,
so wie im Augenblick, nicht gegeben ist, gibt es die G 8
nicht mehr, weder den Gipfel noch das Format als solches.
Ich ergänze: In der Abwägung zwischen notwendigen
Gesprächskontakten einerseits, für die wir uns immer
einsetzen werden, und Formaten, die definitiv ein ande- (D)
res Umfeld als das jetzige erfordern, auf der anderen
Seite wird die Bundesregierung entscheiden, ob und,
wenn ja, gegebenenfalls in welcher Form deutsch-russische Regierungskonsultationen Ende April stattfinden
werden.
Außerdem wird der EU-Rat heute und morgen auch
deutlich machen, dass wir bei einer weiteren Verschärfung der Lage jederzeit bereit sind, Maßnahmen der dritten Stufe einzusetzen. Dabei wird es ganz ohne Zweifel
auch um wirtschaftliche Sanktionen gehen.
Zweitens. Um eine internationale Kontrolle insbesondere in der Ost- und Südukraine zu ermöglichen, setzt
sich die Bundesregierung für eine starke OSZE-Mission
ein. Der Bundesaußenminister und ich haben in den letzten Tagen zusammen mit vielen anderen, insbesondere
dem Schweizer Vorsitz, sehr viel getan, um den Beschluss zu einer solchen Mission hinzubekommen, aber
die Verhandlungen sind zäh und schwierig. Der Bundesaußenminister hat gestern noch einmal gesagt, binnen
24 Stunden sollte und müsste eine solche Mission zustande kommen. Sie kann nach unserer festen Überzeugung auch zustande kommen. Wir werden auch den heutigen Tag nutzen, um das hinzubekommen. Außerdem
setzen wir uns für die notwendigen Gespräche zwischen
der russischen und der ukrainischen Regierung ein.
Drittens. Deutschland und die Europäische Union
werden die Ukraine mit konkreter Hilfe unterstützen.
Der IWF führt mit Hochdruck Gespräche mit der ukrai-