Drucksache 18/12585
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Im September/Oktober gingen beim BKA vier Meldungen aus Marokko ein. Neben Erkenntnisanfragen enthielten die bekannte, aber auch den deutschen Behörden nicht bekannte Fakten zu AMRI. So teilten sie mit,
er halte Deutschland für ein Land der Ungläubigen, die seine Brüder erpressen, und er führe ein Projekt aus,
über das er nicht sprechen wolle. Namen von Jihadisten in Berlin werden genannt, bei denen AMRI unterkommt und wohnt. Unternommen wird nichts. Keine Schutz- und Aufklärungsbemühungen. Viel später –
am 2. November 2016 – keine sieben Wochen vor dem Anschlag – übernimmt das BfV im GTAZ die Aufgabe, bei den marokkanischen Behörden wegen weiterer Erkenntnisse nachzufragen. Bis heute ist dies nicht
geschehen, ohne dass das BfV die anderen Teilnehmer im GTAZ von diesem Fehler unterrichtet.
Das BfV ist von Anfang an im GTAZ dabei und voll informiert. Auch über die Chats und darüber, dass
AMRI in sechs Bundesländern in der Islamistenszene ständig unterwegs ist. Das BfV hatte genug Anlass,
die ND-Überwachung „zentralauswertend“ und „koordinierend“ zu übernehmen (§ 5 Abs. 2, 3 BVerfSchG).
Denn es soll nach eigenen Regeln die VS-Befassung federführend übernehmen, wenn mehr als zwei Bundesländer betroffen sind. Das BfV tut nichts dergleichen, obgleich es früh die Gefährlichkeit AMRIs und das
Vorhaben eines Anschlags bejahte. Gleichwohl wurden Maßnahmen zur konsequenten Beobachtung und
Kontrolle AMRIs nicht unternommen.
Das GTAZ war nur eine Runde organisierter Verantwortungslosigkeit. Es muss durch anregende und koordinierende Tätigkeit des BKA ergänzt werden. Auch braucht es eine verfassungsfeste Rechtsgrundlage.
Es fehlt nicht an neuen Befugnissen und Gesetzen zum Schutz vor Gefährdern, sondern an der konsequenten
Anwendung geltenden Gesetzes und Rechts. Die deutschen Sicherheitsbehörden in Bund und den betroffenen Ländern haben bis zum Anschlag gewusst, dass AMRI äußerst gefährlich war. Er war in der Terrorszene
verankert und plante einen Selbstmordanschlag. Die zuständigen Fachleute vom Staatsschutz und der Kripo
im LKA Berlin haben im Juni 2016 analysiert, die Gefährlichkeit des AMRI und Gewaltbereitschaft seien
inzwischen sogar angestiegen, und haben in einem Gerichtsbeschluss seine Überwachung erwirkt. Doch getan haben alle nichts, keine Fahndung, obwohl sie Adressen zum Beispiel aus Marokko hatten, keine Festnahme (wegen Tatverdachts nach §§ 89a, 129b StGB), keine Observation, keine Warnung vor Anschlägen.
Nicht gehandelt zur Gefahrenabwehr haben BKA, BfV sowie LKAs und LfVs in Berlin und NordrheinWestfalen. Das Totalversagen der Sicherheitsbehörden erinnert an das beim NSU.
Stattdessen Tarnen und Täuschen nach dem Anschlag. Die Bundesregierung wollte alles auf den Tisch legen,
aber sie hat eine zentrale Gefährdungserkenntnis verheimlicht, eine ganz wichtige, zentrale aus der Chronologie
rausgehalten: Die Chats mit libyschen Telefonnummern AMRIs. Bis heute haben diese auch dem PKGr nicht im
Wortlaut vorgelegen. Der gesamte überwachte Chatverkehr Anis AMIRs ist dem Bundestag und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Erkenntnisse aus der Chronologie heraus- und
geheim zu halten. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Erkenntnisse sofort in die Öffentlichkeit zu
geben.