Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
99 –
–
–– 99
von Daten aus Funkzellenabfragen in verschiedenen Dateien gebeten, die es im Laufe aktueller Ermittlungen in
einem Großverfahren angelegt hat. Diese Beratung dauert
noch an. Das BKA speichert Daten aus Funkzellenabfragen u. a. in verschiedenen Amtsdateien, die dazu dienen,
einzelne Ermittlungsverfahren zu bearbeiten. Einige
dieser Dateien enthalten eine größere Menge von Verkehrsdaten, die zum Großteil bereits von Landespolizeibehörden erhoben worden sind, bevor das BKA die Ermittlungen übernommen hat. Diese Daten werden erst
nach Abschluss des jeweiligen Ermittlungsverfahrens gelöscht. Dies ist regelmäßig erst nach einem rechtskräftigen Urteil oder einer endgültigen Einstellung der Fall.
Das BKA weist darauf hin, dass dies für das jeweilige
Verfahren von der zuständigen Staatsanwaltschaft zu entscheiden ist.
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hatte mich im Rahmen seiner Ermittlungen zur Funkzellenabfrage gebeten,
Drucksache 17/13000
einige Informationen zu den übermittelten Daten bei den
Netzbetreibern abzufragen. Das Ergebnis fiel wie erwartet
aus: Nur bei Telekommunikationsvorgängen werden Daten
erfasst und werden nur die Verkehrsdaten ohne Bestandsdaten übermittelt. Insofern war ich sehr überrascht, als
mich mein sächsischer Kollege kurz darauf darüber informierte, dass ein Mobilfunknetzbetreiber 2009 auch in erheblichem Umfang Bestandsdaten bei den Funkzellenanfragen übermittelt hätte. Auf meine Rückfrage bestätigte
das Unternehmen dies. Erst bei der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung 2010 seien durch eine Verfahrensänderung
keine Bestandsdaten mehr bei Verkehrsdatenabfragen
übermittelt worden. Erstaunlicherweise konnte das Unternehmen nicht klären, seit wann die Bestandsdaten unaufgefordert mit übermittelt worden sind. Zumindest seit 2005
wäre dies so praktiziert worden. Ich habe deshalb gegen
das Unternehmen eine formale Beanstandung gegenüber
der Bundesnetzagentur ausgesprochen.
K a s t e n z u N r. 7 . 4 . 6
Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 27. Juli 2011
Funkzellenabfrage muss eingeschränkt werden!
Die Strafverfolgungsbehörden in Dresden haben mit einer sog. Funkzellenabfrage anlässlich von Versammlungen und
dagegen gerichteter Demonstrationen am 19. Februar 2011 Hunderttausende von Verkehrsdaten von Mobilfunkverbindungen erhoben, darunter die Rufnummern von Anrufern und Angerufenen, die Uhrzeit sowie Angaben zur Funkzelle,
in der eine Mobilfunkaktivität stattfand. Dadurch sind zehntausende Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer, darunter Abgeordnete von Landtagen und des Deutschen Bundestages, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, sowie Journalistinnen und Journalisten in Ausübung ihrer Tätigkeit, aber auch Anwohnerinnen und Anwohner
der dicht besiedelten Dresdener Innenstadt, in ihrer Bewegung und ihrem Kommunikationsverhalten erfasst worden.
Dieser Vorfall verdeutlicht die Schwäche der gesetzlichen Regelung.
Rechtsgrundlage der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage ist bisher § 100g Absatz 2 S. 2 StPO, wonach im
Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation ausreichend sein soll, um Verkehrsdaten bei den Telekommunikationsdiensteanbietern erheben zu
dürfen. Diese Aussage wird mit einer allgemeinen Subsidiaritätsklausel verknüpft. Diese 2001 in die Strafprozessordnung eingefügte Regelung ist unzureichend, da sie weder hinreichend bestimmt ist noch den heutigen technischen
Gegebenheiten entspricht. Aktuelle Geräte erzeugen durch ihren Datenverkehr ohne aktives Zutun des Besitzers eine
Vielzahl von Verkehrsdaten, die später in einer Funkzellenabfrage erhoben werden können.
Die Funkzellenabfrage ist ein verdeckter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG). Sie richtet sich unterschiedslos gegen alle in einer Funkzelle anwesenden Mobilfunkgerätebesitzer, nicht nur – wie etwa eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO – gegen bestimmte einzelne Tatverdächtige. Sie offenbart Art und Umstände der Kommunikation von u. U. Zehntausenden von Menschen, die selbst keinen Anlass für einen staatlichen
Eingriff gegeben haben. Sie schafft damit des Weiteren die Möglichkeit, diese Personen rechtswidrig wegen NichtAnlasstaten, etwa Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, zu verfolgen. Sie ist bezogen auf einzelne Personen ein
Instrument der Verdachtsgenerierung. Die Strafprozessordnung regelt nicht näher, wie die Behörden mit den erhobenen Daten umzugehen haben, insbesondere nicht, über welche Zeiträume, zu welchen Personen und in welchen anderen Zusammenhängen die erhobenen Daten polizeilich weiter verwendet werden dürfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, dass die Erhebung von Verkehrsdaten erhebliche Rückschlüsse auf
das Kommunikationsverhalten zulässt. Verkehrsdaten können das soziale Netz des Betroffenen widerspiegeln; allein
aus ihnen kann die Verbindung zu Parteien, Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen deutlich werden.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordert daher den Bundesgesetzgeber auf,
den Anwendungsbereich für eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage einzuschränken, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu stärkerer Beachtung in der Praxis zu verhelfen, das Erforderlichkeitsprinzip zu stärken (etwa
durch die Pflicht zur unverzüglichen Reduzierung der erhobenen Daten auf das zur Strafverfolgung oder gerichtlichen Auseinandersetzung Erforderliche) sowie die Löschungsvorschrift des § 101 Absatz 8 StPO zu präzisieren.
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012