Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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nach Auffassung des Gerichts in solchen Fällen eine äußerst differenzierte Betrachtung geboten (§ 240 Strafgesetzbuch). Ich sehe mich daher in meiner Einschätzung
zur Zentraldatei „IgaSt“ bestätigt, wonach auch provokante Formen des Protests grundgesetzlich geschützt sind
und daher die Teilnehmer nicht ohne Weiteres gespeichert
werden dürfen (23. TB Nr. 7.2.2).
Ich habe auch festgestellt, dass Anmelder von Versammlungen als. „sonstige Personen“ in der Zentraldatei gespeichert waren. Bei „sonstigen Personen“ müssen bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in
Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen
werden (§ 8 Absatz 5 BKAG). In keinem der von mir geprüften Fälle lagen jedoch solche Tatsachen vor. Selbst
Anmelder von Versammlungen, die in der Vergangenheit
friedlich verliefen, wurden gespeichert. Ich habe das
BKA auf Grund des gravierenden Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften unmittelbar nach der Kontrolle um sofortige Überprüfung der Speicherungen gebeten. Das BKA teilte mir daraufhin mit, die betreffenden
Dateien seien in der Zwischenzeit nahezu vollständig gelöscht worden.
In der Zentraldatei werden auch sog. Prüffälle erfasst.
Das BKA beruft sich hierbei auf die Generalklausel des
§ 7 Absatz 1 BKAG. Hierbei handelt es sich aber nur um
eine Auffangvorschrift, mit deren Hilfe nicht die besonderen Vorschriften für die Speicherung zur Gefahrenvorsorge ausgehöhlt werden (§ 8 BKAG) dürfen. Bereits in
der Vergangenheit habe ich mehrfach die Speicherung als
Prüffall kritisiert. Sie führt dazu, dass Personen in den Fokus von Ermittlungen geraten, die an der Begehung von
Straftaten nicht beteiligt oder gegebenenfalls nur zufällig
anwesend sind (vgl. 22. TB Nr. 4.2.4). Durch die Kontrolle hat sich meine kritische Haltung bestätigt. Speicherungen zur Gefahrenvorsorge nach der Auffangvorschrift
§ 7 Absatz 1 i. V. m. § 2 Absatz 1 BKAG sind nur tolerabel, wenn die Personen nur für kurze Zeit erfasst werden.
Dies darf lediglich geschehen, um die Voraussetzungen
des § 8 Absatz 2 bzw. Absatz 5 BKAG prüfen zu können,
etwa wenn das BKA zunächst ergänzende Informationen
bei anderen Polizeibehörden einholen muss.
Um die o. g. Fehler zukünftig zu vermeiden kommt der
Errichtungsanordnung der Zentraldatei eine wichtige
Konkretisierungsfunktion zu (vgl. auch Nr. 7.4.5).
Die vom BKA festgelegten Aussonderungsprüffristen in
der Zentraldatei „PMK-links-Z“ waren teils zu lang und
nicht für jedes Ereignis gesondert festgelegt. Grund hierfür ist eine technische Einstellung in der Zentraldatei. Erkenntnisse, die das BKA dort speichert, werden aus dem
Vorgangsbearbeitungssystem des BKA bzw. dem polizeilichen Informationssystem (INPOL) entnommen. Die
Zentraldatei übernimmt aus diesen beiden Systemen auch
automatisch das dort festgelegte höchste Aussonderungsprüfdatum. Daher muss in der Zentraldatei „PMK-links-Z“
zu einer Person jedes Ereignis manuell mit einem eigenen
Aussonderungsprüfdatum versehen werden. Dies ist jedoch nicht durchgehend geschehen, so dass alte, nicht
mehr erforderliche Daten weiterhin gespeichert blieben.
Bei meiner Kontrolle fiel mir auch auf, dass im Vorgangsbearbeitungssystem zu einer gespeicherten Person ein
Drucksache 17/13000
von ihr unabhängiges Dokument eingestellt war. Darin
wurde eine Veranstaltung einer angesehenen internationalen Menschenrechtsorganisation beschrieben, obwohl
keine Straftaten oder sonstige Störungen der öffentlichen
Sicherheit registriert worden sind. Sogar der Anmelder
der Veranstaltung war namentlich erkennbar. Ich habe mir
die Frage gestellt, aus welchem Grund die Landespolizei
die Informationen an das BKA übermittelt hat und den
zuständigen Landesbeauftragten für den Datenschutz informiert.
Schließlich müssen auch Gerichtsentscheidungen, wie
z. B. ein Freispruch, im Sinne von § 8 Absatz 3 BKAG,
zur Löschung aus der Datei führen. Institutionen, die vom
BKA Daten erhalten haben, sind hierüber zu informieren.
Problematisch ist allerdings, dass das BKA oftmals selbst
keine Information von den Staatsanwaltschaften der Länder über den Ausgang von Verfahren (insb. Entscheidungen über die Einstellung von Verfahren, Urteile) erhält.
Es kann daher diese Informationen auch nicht an andere
Behörden kommunizieren. Hier sehe ich vor allem die
Staatsanwaltschaften und Polizeien der Länder in der
Pflicht, durch bessere Kommunikation mit dem BKA die
Rechte der Betroffenen zu stärken. Aus meiner Sicht
könnte hier zudem gesetzgeberischer Handlungsbedarf
bestehen. Schon das Bundesverwaltungsgericht hat bei
seiner Entscheidung über die Datei „Gewalttäter Sport“
auf Defizite in diesem Bereich hingewiesen.
Ich habe mir nach der Kontrolle verschiedene Beanstandungen vorbehalten. Das BKA hat bis zum Redaktionsschluss noch nicht abschließend zu meinem Kontrollbericht Stellung genommen. Ich werde die dargestellten
Sachverhalte weiter im Auge behalten.
7.4.5
Weiterentwicklung der polizeilichen
Dateienlandschaft
Das polizeiliche Informationssystem (INPOL) wird stetig
weiterentwickelt. Grundlegend wird der derzeit noch geplante polizeiliche Informations- und Analyseverbund
(PIAV) die Dateienlandschaft verändern.
Mit dem Polizeilichen Informations- und Analyseverbund
(PIAV) soll neben INPOL (vgl. Kasten zu Nr. 7.4.5) ein
weiteres, eigenständiges Verbundsystem geschaffen werden. Ich mahne hier zur Vorsicht. Ein solcher umfassender Verbund birgt die Gefahr, die gegenwärtigen rechtlichen Grenzen zu überschreiten. Diese Grenzen sind auch
von verfassungsrechtlicher Bedeutung. Wie das geplante
System genau ausgestaltet werden wird, ist derzeit noch
nicht abschließend geklärt. Aus den bislang vorliegenden
Planungen ergibt sich jedoch: Das System wird einen sehr
großen Datenbestand enthalten. Angedacht sind zudem
umfassende Auswerte- und Analysemöglichkeiten. Diese
sind jedoch bis zum Redaktionsschluss nur unscharf beschrieben. Folgende Eckpunkte sind aus Datenschutzsicht
besonders wichtig:
– Das Verhältnis zwischen dem zentralen Verbundsystem INPOL und PIAV ist grundlegend klärungsbedürftig. Durch den parallelen Betrieb zweier Verbundsysteme besteht die Gefahr einer Doppelspeicherung
mit voneinander abweichenden Daten und Fristen.
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012