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Sicherungen bei strafprozessualen Überwachungsmaßnahmen stärkt. Positiv bewerte ich auch das Konzept, einheitliche Regelungen für sämtliche heimliche Ermittlungsmaßnahmen zu schaffen. Ich habe das BMJ darauf
aufmerksam gemacht, dass ich insbesondere in den folgenden Punkten eine Nachbesserung des Entwurfs für erforderlich halte:
– Der umfangreiche Katalog der Straftaten, zu deren
Verfolgung eine Telekommunikationsüberwachung
angeordnet werden darf, sollte im Hinblick auf den
Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses kritisch
überprüft und reduziert werden.
– Um die Anordnungspraxis bei der Telekommunikationsüberwachung zu verbessern, sollten qualifizierte
Begründungspflichten in das Gesetz aufgenommen
werden. Es muss sichergestellt werden, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft und die Anordnung durch
das Gericht konkret und einzelfallbezogen begründet
werden.
– Die vorgesehenen Regelungen zum Schutz des sog.
Kernbereichs privater Lebensgestaltung halte ich zum
Teil für zu eng. Das vorgesehene Erhebungsverbot in
Fällen, in denen ausschließlich kernbereichsrelevante
Inhalte zu erwarten sind, reicht nicht aus. Auf eine Telekommunikationsüberwachung sollte bereits dann
verzichtet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass die Maßnahme Äußerungen aus
diesem privaten Bereich erfasst.
– Beim Schutz von Vertrauensverhältnissen differenziert
der Entwurf zwischen Seelsorgern, Verteidigern und
Abgeordneten einerseits sowie sonstigen Berufsgeheimnisträgern andererseits. Ich halte demgegenüber
ein einheitliches und hohes Schutzniveau für Gespräche mit allen Arten von Berufsgeheimnisträgern für
erforderlich (vgl. schon 20. TB Nr. 7.4).
– Sämtliche vorgesehene Regelungen sollten befristet
und einer unabhängigen, gründlichen und wissenschaftlich unterstützten Evaluation unterzogen werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass nicht
bzw. nicht mehr erforderlich Grundrechtseingriffe ggf.
reduziert bzw. wieder zurückgenommen werden.
Regelungsbedarf sehe ich darüber hinaus im Bereich der
sog. Funkzellenabfrage, d. h. dem Auskunftsverlangen
der Ermittlungsbehörden gegenüber Telekommunikationsdiensteanbietern im Hinblick auf Verkehrsdaten, die
in einer bestimmten Funkzelle, der kleinsten geografischen Einheit im Mobilfunknetz, anfallen. Diese Ermittlungsmaßnahme zur Identifizierung eines noch unbekannten Straftäters wird gegenwärtig auf § 100h Abs. 1
Satz 2 StPO gestützt. Diese außerhalb der eigentlichen
Ermächtigungsgrundlage für Verkehrsdatenabfragen
(§ 100g StPO) in der bloßen Verfahrensnorm des
§ 100h StPO untergebrachte Regelung halte ich jedoch
im Hinblick auf die Eingriffsintensität der Funkzellenabfrage, insbesondere wegen der möglichen Vielzahl betroffener unbeteiligter Personen, nicht für eine ausreichende
Rechtsgrundlage. Auch hierzu haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder ein gemeinsames
Forderungspapier verfasst (Kasten b zu Nr. 6.1), welches
ich der Bundesministerin der Justiz mit der Bitte übermittelt habe, die Möglichkeit einer gesetzlichen Neuregelung
zu prüfen.
K a s t e n b zu Nr. 6.1
Gemeinsames Papier der Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder
Datenschutzrechtliche Forderungen für die Durchführung von Funkzellenabfragen
1. Für eine Funkzellenabfrage mit dem Ziel eines anschließenden automatisierten Abgleichs der übermittelten Daten fehlt es in der Strafprozessordnung an
einer Rechtsgrundlage. Sie ist daher unzulässig.
2. Auch ohne das Ziel des anschließenden Abgleichs ist
§ 100h Abs. 1 Satz 2 StPO als Verfahrensvorschrift
zu § 100g StPO keine ausreichende Rechtsgrundlage
für die inzwischen als polizeiliche Standardmaßnahme zur Verdachtsschöpfung praktizierte Funkzellenabfrage. Grundrechtseingriffe sind stets auf das
erforderliche Maß zu reduzieren und bedürfen einer
klaren und detaillierten Regelung (vgl. auch Beschluss des 1. Senats des BVerfG vom 4. April 2006
zur Rasterfahndung, Az.: 1 BvR 518/02, AbsatzNr. 125 ff.). Daran fehlt es hier.
3. Eine gesetzliche Regelung, die Funkzellenabfragen
zulässt, müsste folgende datenschutzrechtliche Forderungen berücksichtigen:
– Funkzellenabfragen im Sinne des § 100h Abs. 1
Satz 2 StPO dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn eine erhebliche Straftat begangen
wurde und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis vorliegt, dass der Täter telefoniert hat.
– Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung
im Einzelfall sind die Schwere der Straftat und
die Anzahl der durch die Maßnahme möglicherweise betroffenen unbeteiligten Dritten gegeneinander abzuwägen.
– Die Maßnahme ist räumlich und zeitlich auf den
unbedingt notwendigen Umfang zu begrenzen.
– Die auf der Grundlage der Funkzellenabfrage erlangten Daten dürfen nicht zur Ermittlung von
Tatzeugen verwendet werden.
– Die Verbindungsdaten der Betroffenen müssen
unverzüglich gelöscht werden, sobald ihre weitere Speicherung für das Ermittlungsverfahren
nicht mehr erforderlich ist.
– Funkzellenabfragen, insbesondere die Zahl der
Maßnahmen, die Zahl der Betroffenen und die
Bedeutung der Maßnahmen für die Ermittlungen
sollten statistisch erfasst werden, um eine datenschutzrechtliche Überprüfung und Evaluation zu
ermöglichen.
BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006
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