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muss wirksam begegnet werden. Die Verantwortlichen
haben dafür zu sorgen, dass personenbezogene Verhaltens-, Nutzungs- und Bewegungsprofile – wenn überhaupt – nur mit Wissen und Zustimmung der Betroffenen
erstellt werden, sich auf konkret definierte Sachverhalte
und Zwecke beschränken und unter Kontrolle der Betroffenen bleiben. Umfassende Persönlichkeitsprofile, in denen alle möglichen privaten und öffentlichen Daten zusammengeführt werden, darf es auch und gerade unter
den Bedingungen einer immer leistungsfähigeren Informationstechnik nicht geben.
10 Informationelle Selbstbegrenzung von Staat und
Wirtschaft
Die Informationstechnik bietet das Potenzial einer Totalüberwachung. Politik und Wirtschaft sind deshalb aufgerufen, mit diesen Möglichkeiten verantwortungsbewusst
umzugehen und sich selbst zu begrenzen. Nicht alles, was
irgendwie sinnvoll erscheint, darf auch realisiert werden.
Stets müssen bei Entscheidungen über den Einsatz von
IT-Systemen auch die Wirkungen auf das individuelle
Selbstbestimmungsrecht bedacht werden. Die Grundsätze
der Menschenwürde und der Verhältnismäßigkeit sind
verfassungsrechtlich verankert. Ihre Beachtung ist für
eine demokratische Informationsgesellschaft von entscheidender Bedeutung. Daraus ergibt sich, dass es eine
Rundumüberwachung genauso wenig geben darf wie eine
Kontrolle des Kernbereichs der Privatsphäre. Diese
Grundsätze sind nicht nur bei der Erhebung von Daten
bedeutsam, sondern auch bei ihrer weiteren Nutzung. Insbesondere Daten, die bei der Verwendung von IT-Systemen automatisch generiert werden, können vielfältig miteinander verknüpft werden. Eine Mehrfachnutzung von
Daten mag wirtschaftlich oder auch politisch sinnvoll erscheinen. Zweckänderungen bedürfen jedoch auch unter
veränderten technologischen Bedingungen grundsätzlich
der Zustimmung des Betroffenen oder einer ausdrücklichen gesetzlichen Erlaubnis. IT-Systeme müssen so gestaltet werden, dass die Zusammenführung für unterschiedliche Zwecke gespeicherter Datenbestände nur
unter klar definierten und kontrollierten Bedingungen erfolgen kann.
Datenverarbeitungsbefugnisse einräumen, das Gesetz zur
Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden
und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder
(Gemeinsame-Dateien-Gesetz – Bundestagsdrucksache 16/2950 – s. u. Nr. 5.1.1) und das Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz – Bundestagsdrucksache 16/2921 – s. u. Nr. 5.1.2). Beide Gesetzentwürfe hat der
Deutsche Bundestag am 1. Dezember 2006 verabschiedet.
Wie in meinem 20. Tätigkeitsbericht ausgeführt
(Nr. 5.1.1), müssen bei der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten die Vorgaben des Grundgesetzes beachtet werden. Zu beachten ist
insbesondere das verfassungsrechtliche Trennungsgebot
(vgl. Kasten zu Nr. 5.1), das die informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten begrenzt,
um zu verhindern, dass die organisatorische Trennung von
Polizei und Geheimdiensten durch wechselseitige Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen unterlaufen wird.
Diese Auswirkung des Trennungsgebots hat auch der
Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen in seinem
Urteil vom 21. Juli 2005 (Az.: Vf. 67-II-04) hervorgehoben. Danach ist das Gebot der organisatorischen Trennung unvollständig, wenn es nicht zugleich eine Abgrenzung der Aufgaben von Polizei und Geheimdiensten
beinhaltet. Nur so könne vermieden werden, dass die
Nachrichtendienste im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung
unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnene
Daten an die Polizei übermitteln und auf dieser Datengrundlage polizeiliche Maßnahmen auch in den Fällen
angeordnet werden, in denen diese Daten durch polizeiliche Maßnahmen nicht hätten erhoben werden dürfen.
Andernfalls könnten rechtsstaatlich ausgeformte Handlungsschwellen für den Einsatz polizeilicher Mittel unterlaufen werden. Das Trennungsgebot verhindert somit
nicht die insbesondere zur Terrorismusbekämpfung notwendige Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, setzt
ihr allerdings Grenzen, die auch vom Gesetzgeber zu beachten sind.
K a s t e n zu Nr. 5.1
5.1
Neue Sicherheitsarchitektur
Bei der Weiterentwicklung der Sicherheitsinfrastruktur
von Bund und Ländern müssen die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt werden.
Die Weiterentwicklung der Sicherheitsinfrastruktur, d. h.
der Organisation von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten und ihre Zusammenarbeit, bilden eines der zentralen Projekte der Bundesregierung im Bereich der Inneren Sicherheit. Im Koalitionsvertrag von 2005 wird in
diesem Zusammenhang auch angekündigt zu „überprüfen, inwieweit rechtliche Regelungen etwa des Datenschutzes einer effektiven Bekämpfung des Terrorismus
entgegenstehen“. In der Berichtsperiode wurden dementsprechend zwei wesentliche Gesetzgebungsvorhaben auf
den Weg gebracht, die den Sicherheitsbehörden neue
Trennungsgebot
Das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten beruht auf dem Schreiben der Militärgouverneure an den Parlamentarischen Rat über die PolizeiBefugnisse der Bundesregierung vom 14. April 1949.
Punkt 2 dieses Polizeibriefs regelt: „Der Bundesregierung wird auch gestattet, eine Stelle zur Sammlung und
Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.“
Aufgrund dieser Vorgabe bestimmt beispielsweise § 8
Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes: „Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem
Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die
Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist.“
BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006
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Innere Sicherheit
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