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fung sind schon aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen des hiermit verbundenen Eingriffs in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung einer Vielzahl von Betroffenen nur dann gerechtfertigt, wenn sie im vorrangigen öffentlichen Interesse tatsächlich notwendig und verhältnismäßig sind. Hierzu fehlen bislang entsprechende
Fakten. Ich hätte eine befristete Regelung mit anschließender Evaluation für angemessener gehalten.

klare Vorgaben für den Betroffenen, wie er sich „entlasten“ kann, nicht im Gesetz normiert wurden. So ist für
mich nur schwer vorstellbar, welche Beweismittel das
Nichtbestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Falle von Zweckwohngemeinschaften belegen können. Ich sehe hier die Gefahr einer exzessiven
Erhebung von sensiblen Daten unbeteiligter Dritter.

Nennen möchte ich aus dem Maßnahmenpaket noch die
Beweislastumkehr bei der Feststellung des Bestehens
einer eheähnlichen Gemeinschaft. Gemäß § 7
Abs. 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nunmehr vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr
zusammenleben, mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen
oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Liegt eines dieser Kriterien vor, muss
der Antragsteller umfassend darlegen, warum die gesetzliche Vermutung in seinem Fall nicht zutrifft und dies
durch entsprechende Unterlagen nachweisen. Allein die
Behauptung, die gesetzliche Vermutung sei nicht erfüllt,
reicht dabei nicht aus. Ich halte es für problematisch, dass

Ich habe im Gesetzgebungsverfahren in meiner Stellungnahme gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales
des Deutschen Bundestags auf diese und weitere
Probleme hingewiesen. Unterstützt wurden meine Forderungen auch von den Landesbeauftragten für den Datenschutz (s. Gemeinsame Erklärung – Kasten zu
Nr. 13.5.1). Leider hat der Gesetzgeber diesen datenschutzrechtlichen Anliegen nicht Rechnung getragen.
Deshalb wird es entscheidend darauf ankommen, in der
Praxis sensibel und datenschutzgerecht mit den Neuregelungen umzugehen. Gemeinsam mit den Landesbeauftragten werde ich die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben aufmerksam verfolgen. Aufgabe der Politik wird es
sein, die Erforderlichkeit der Regelungen zu evaluieren
und diese ggf. zu revidieren.

K a s t e n zu Nr. 13.5.1
Gemeinsame Erklärung des Bundesbeauftragten und der Landesbeauftragten für den Datenschutz der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein
und Thüringen
Arbeitsuchende unter Generalverdacht
Die Bundesregierung hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“
beschlossen, der von den Koalitionsfraktionen in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist (Bundestagsdrucksache 16/1410) und bereits am 1. August 2006 in Kraft treten soll. Ein wesentliches Ziel des Entwurfs ist es, die
stark gestiegenen Kosten der Hartz-IV-Reform durch eine verstärkte Kontrolle aller Arbeitsuchenden nennenswert zu
begrenzen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat mit Schreiben vom
18. Mai 2006 gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages Stellung genommen und
auf die datenschutzrechtlichen Probleme hingewiesen. Die Datenschutzbeauftragten unterstützen nachdrücklich die
in der Stellungnahme des BfDI enthaltenen Forderungen.
Entgegen den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen ist geplant, bei der Frage nach dem Vorliegen einer eheähnlichen
Gemeinschaft eine Beweislastumkehr zulasten der Arbeitsuchenden einzuführen. Danach müssten Betroffene selbst
nachweisen, dass sie nicht in eheähnlichen Gemeinschaften mit Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern leben. Wie
dies in der Praxis geschehen soll, ist unklar. Betroffene könnten sich genötigt sehen, zum einen ihre Hilfsbedürftigkeit
Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern und damit Dritten zu offenbaren, zum anderen deren sensible Daten preiszugeben. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Eine solche exzessive Datenerhebung wäre datenschutzrechtlich nicht
hinnehmbar.
Bedenken bestehen auch gegen die geplante Erweiterung der automatisierten Datenabgleiche. Wegen des hiermit verbundenen massiven Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind derartige Abgleiche grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen dann zulässig, wenn sie im vorrangigen öffentlichen Interesse tatsächlich
notwendig und verhältnismäßig sind. Der Gesetzentwurf enthält aber keine Begründung, weshalb ein regelmäßiger
Datenabgleich hinter dem Rücken der Betroffenen erforderlich sein soll. Dass einige von ihnen Leistungen erschleichen wollen, rechtfertigt diese Maßnahme nicht. Belege dafür, dass die vorhandenen Befugnisse zur notwendigen Bekämpfung von Leistungsmissbrauch tatsächlich unzureichend sind, fehlen völlig. Es ist mit dem Menschenbild des
Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise alle Arbeitsuchenden, die Grundsicherung beanspruchen, unter
Generalverdacht zu stellen.

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BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

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