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Als Folge der Missachtung des § 200 Abs. 2 SGB VII bei
der Einholung eines Gutachtens ist das Gutachten gem.
§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu löschen.
Im Berichtszeitraum hat sich eine Vielzahl von Berufsgenossenschaften auf zwei Urteile von Landessozialgerichten berufen, die die Regelung des § 200 Abs. 2 SGB VII
als reine Verfahrensvorschrift und einen Verstoß gegen
diese Regelung als unbeachtlich bewertet haben. Die
rechtliche Bewertung in den Urteilen erfolgt wiederum
unter Berufung auf die Literatur, die sich auf die bloße
Behauptung, der Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII sei
unbeachtlich, beschränkt. Eine Auseinandersetzung mit
der systematischen Einordnung der Gutachterregelung
des § 200 Abs. 2 SGB VII unter Berücksichtigung des
vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutzzwecks der Vorschrift führt jedoch zu einer anderen Beurteilung. Mit der
in der Begründung festgehaltenen gesetzgeberischen Intention, mehr Verfahrenstransparenz zu schaffen und die
Mitwirkungsrechte der Versicherten zu stärken, geht die
Regelung weit über eine reine Verfahrensregelung hinaus.
Die Einschränkung der Übermittlungsbefugnis hat vor
diesem Hintergrund materiell-rechtlichen Charakter. Dafür sprechen auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die im Wesentlichen auf die parlamentarischen
Beratungen unter meiner Einbeziehung zurückzuführen
ist, sowie die Einordnung der Vorschrift im Gesetz unter
dem Begriff „Datenschutz“.
Selbst wenn man die Gutachterregelung als Verfahrensregelung sehen will, ist die Meinung, dass ein Verstoß unbeachtlich ist, nicht überzeugend:
– Das Auswahlrecht des Versicherten nach § 200 Abs. 2
SGB VII geht in seiner rechtlichen Gewichtung über
die in § 41 SGB X genannten Verfahrens- und Formfehler hinaus, da dem Betroffenen ein eigener Entscheidungsspielraum eingeräumt wird.
– Es liegt keine „gebundene“ Entscheidung im Sinne
des § 42 Satz 1 SGB X vor, da bei der Auswahl eines
anderen Gutachters auch eine andere Entscheidung in
der Sache denkbar ist. Bei einem Gutachten handelt es
sich um eine persönliche Einschätzung eines Sachverständigen, deren Ergebnis nicht von vornherein feststeht und nicht berechenbar ist.
– Die in § 42 Satz 2 SGB X genannte Anhörung ist wegen der hohen Bedeutung mit dem Auswahlrecht der
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Aspekte kann
ein Verstoß gegen die Gutachterregelung des § 200
Abs. 2 SGB VII nicht als unbeachtlich bewertet werden,
mit der Folge, dass das Gutachten gem. § 84 Abs. 2
Satz 1 SGB X zu löschen ist. In allen mir im Berichtszeitraum bekannt gewordenen Fällen der Nichtbeachtung der
Gutachterregelung habe ich jedoch im Hinblick auf die
von den Berufsgenossenschaften zitierten Urteile des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg von einer Beanstandung abgesehen.
13.3.3 Anforderung von Krankenhausentlassungsberichten durch
Unfallversicherungsträger
Die Anforderung von Entlassungs- und Operationsberichten durch Unfallversicherungsträger sollte ausdrücklich gesetzlich geklärt werden.
Im Berichtszeitraum hatte ich mich mehrfach mit der
Frage zu befassen, ob Unfallversicherungsträger befugt
sind, zur Überprüfung ihrer Leistungsverpflichtung Krankenhausentlassungsberichte und Operationsberichte anzufordern. Bei derartigen Anfragen sehen sich die Krankenhäuser immer wieder in dem Zwiespalt, dass sie als
Vorbedingung zur Begleichung der jeweiligen Rechnung
die angeforderten Entlassungsberichte und Operationsberichte übersenden müssen und damit in Gefahr geraten,
sich einer Verletzung der Schweigepflicht schuldig zu
machen, da die Berichte medizinische Daten enthalten,
die dem Arztgeheimnis unterliegen.
Vor dem Hintergrund der Erläuterungen des Ministeriums
für Arbeit und Sozialordnung halte ich jedoch die Anforderung von Krankenhausentlassungsberichten und Operationsberichten auf der Grundlage des § 199 Abs. 1 Satz 1
und Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB VII für vertretbar. Das Ministerium hatte die Aufgabenbeschreibung für
die Unfallversicherungsträger in § 199 Abs. 1 SGB VII
dahingehend erläutert, dass die Befugnis zur Datenerhebung und Datenspeicherung zur „Erbringung der Leistungen“ auch die Abrechnung der Leistungen beinhalte. Das
Ministerium hält eine besondere Nennung der Abrechnungsdaten im datenschutzrechtlichen Aufgabenkatalog
der Unfallversicherung nicht für erforderlich, da das
SGB VII – abweichend von der Systematik in den Regelungen für die gesetzliche Krankenversicherung nach
SGB V – keine abschließende Aufzählung der datenschutzrechtlichen Befugnisse kennt.
BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006
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13.3.2 Rechtsfolgen bei Missachtung der
Gutachterregelung
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Angesichts der noch unklaren Rechtslage erhoffe ich mir
eine Klärung der offenen Rechtsfragen durch das Bundessozialgericht.
Gutachterregelung vergleichbar, da beide Rechte des
Versicherten auf einem Grundrecht oder einem diesem
gleichgestellten Recht beruhen (Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Artikel 108 GG; Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Auswahlrecht des § 200 Abs. 2 SGB VII
noch stärker ausgeprägt ist als das Recht auf Anhörung; denn während eine Berufsgenossenschaft ihre
Entscheidung ungeachtet des Ergebnisses einer Anhörung treffen kann, ist sie an die Auswahl, die ein Versicherter unter mehreren vorgeschlagenen Gutachtern
trifft, gebunden.
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Auf meine Intervention hin hat die überwiegende Mehrzahl der Berufsgenossenschaften ihre Zustimmung zu den
Kriterien erteilt und zugesagt, auch künftig einen beratenden Arzt lediglich mit einer Stellungnahme zu beauftragen und vor der Erteilung eines Gutachtenauftrages den
Versicherten die in § 200 Abs. 2 SGB VII genannten
Rechte zu gewähren. Dies begrüße ich.