Drucksache 17/9100

– 48 –

VG Berlin. Während des gerichtlichen Verfahrens stellte
das Bundeskanzleramt weitere Informationen zur Verfügung; die wesentlichen Punkte blieben jedoch streitig.
Zum Terminkalender der Bundeskanzlerin wies das
Kanzleramt darauf hin, die dort eingetragenen privaten
Termine unterfielen von vornherein nicht dem Begriff der
amtlichen Informationen. Auch die dienstlichen Termine
seien keine amtlichen Informationen, da sie nicht an konkrete Verwaltungsvorgänge anknüpften. Der Terminkalender spiegele (insoweit) vielmehr Regierungstätigkeit
wieder, die – anders als die gesetzesausführende Verwaltungstätigkeit nachgeordneter Verwaltungsbehörden –
nicht dem Informationszugang nach dem IFG unterliege.
Schließlich sei der Informationszugang auch deshalb ausgeschlossen, weil die Freigabe von Informationen aus
dem Terminkalender die innere Sicherheit gefährden
könne. Aus den offengelegten Terminen der Bundeskanzlerin aus zwei Monaten könne ein Bewegungsprofil erstellt werden, mit dem die Durchführung von Anschlägen
erleichtert werden könne.
Hinsichtlich der geschwärzten personenbezogenen Daten
in den Gästelisten, im Adressverteiler und in der Tischordnung überwiege das Geheimhaltungsinteresse der
Gäste, soweit sie in die Freigabe dieser Informationen
nicht eingewilligt hätten.
Das VG Berlin hat der Klage mit Urteil vom
7. April 2011 – VG 2 K 39.10 – teilweise stattgegeben
und das Bundeskanzleramt zur Eröffnung des Informationszuganges verpflichtet, soweit Namen und dienstliche
Anschriften von zehn Gästen zunächst geschwärzt worden waren. Ausdrücklich eingewilligt hatten diese zehn
Gäste nicht. Deshalb war das Informationsinteresse der
Kläger mit dem schutzwürdigen Interesse dieser „Dritten“ abzuwägen (§ 5 Absatz 1 IFG).
Diese Abwägung ist gerichtlich voll überprüfbar.
Gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das VG zunächst darauf hingewiesen, dass das
auf Seiten der Gäste betroffene (Grund-)Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht im Sinne einer absoluten und uneinschränkbaren Herrschaft über die eigenen
Daten zu verstehen sei. Vielmehr seien Einschränkungen
im überwiegenden Allgemeininteresse hinzunehmen.
Das VG Berlin hielt die Interessenabwägung des Kanzleramtes für rechtsfehlerhaft, da sie dem Gewicht des Informationsinteresses im Vergleich zu den Interessen der
betroffenen Dritten nicht hinreichend Rechnung trage.
Ausgangspunkt der Abwägung ist der mit dem IFG verfolgte Zweck, die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu stärken und die Kontrolle des staatlichen
Handelns zu verbessern. Das VG hat dem Informationsinteresse der Kläger erhebliches Gewicht beigemessen, da
diese die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik untersuchen und hierüber publizieren. Bei der Gewichtung
des „Diskretionsinteresses“ der Gäste war für das
VG Berlin maßgeblich, dass diese nicht als Privatpersonen, „sondern in ihrer gesellschaftlichen Funktion als
Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Unterhaltung und Sport
unter ihrer jeweiligen ’dienstlichen‘ Adresse offiziell von
der Bundeskanzlerin eingeladen“ worden seien. Die Ein-

3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ladung betraf mithin nicht die besonders geschützte
Privat- oder Intimsphäre, sondern die – auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – weniger geschützte Sozialsphäre. Das VG Berlin hat auch berücksichtigt, dass einer dieser zehn Gäste im Rahmen des
Drittbeteiligungsverfahrens zwar nicht ausdrücklich zugestimmt, sich aber in einem Artikel einer großen Tageszeitung als Gast „geoutet“ hatte. Die übrigen neun Gäste
hatten sich nicht gemeldet bzw. keine spezifischen
schutzwürdigen Interessen geltend gemacht. Das Gericht
hat aus ihrem Schweigen nicht den (unzulässigen)
Schluss auf eine „stillschweigende“ Einwilligung gezogen, sondern das „Diskretionsinteresse“ sorgfältig unter
Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gewichtet und mit dem – im Ergebnis stärkeren – Transparenzinteresse abgewogen.
Beim Terminkalender hat das VG Berlin offen gelassen,
ob dieser „amtliche Informationen“ im Sinne des IFG enthalte und damit das IFG grundsätzlich anwendbar sei. Im
vorliegenden Fall griffe nach seiner Auffassung (dann)
jedenfalls der Ausschlusstatbestand des § 3 Nummer 1
Buchstabe c IFG, der den Informationszugang ausschließt, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen auf Belange der inneren oder äußeren Sicherheit haben kann.
Anknüpfend an den Wortlaut des § 3 Nummer 1 Buchstabe c IFG sieht es hier eine „nur in engen Grenzen“ verwaltungsgerichtlich überprüfbare Prognoseentscheidung.
Der mögliche Eintritt von Nachteilen für das Schutzgut
der inneren Sicherheit könne nur Gegenstand einer plausiblen und nachvollziehbaren Prognose sein, die nur auf
Beurteilungsfehler hin überprüft werden könne. Eine solche Prognoseentscheidung könne auf einer Vielzahl von
– jeweils und für sich allein – wenig aussagekräftigen
Einzelinformationen beruhen, die mit weiteren Informationen zusammengeführt werden müssten.
Das Gericht hat keinen Beurteilungs- und Prognosefehler
des Bundeskanzleramtes angenommen: Aus Terminen
und den daraus erschließbaren Bewegungs- und Lokalisierungsinformationen eines mit rund zwei Monaten
schon längeren, noch nicht sehr lange zurückliegenden
Zeitraumes ließen sich sicherlich Elemente für eine „Bewegungsprognose“ der näheren Zukunft ableiten. Derartige Informationen könnten missbräuchlich auch für die
Planung terroristischer Anschläge verwendet werden, denen die Bundeskanzlerin als hochrangige Repräsentantin
unseres Staates mit sehr hoher Gefährdungsstufe ausgesetzt sein könnte.
Gleichwohl stellt sich mir die Frage, ob diese Argumentation den Informationszugang zu allen Terminen im fraglichen Zweimonatszeitraum ausschließt oder ob nicht nach
Beschränkung und Präzisierung des IFG-Antrages und
der Klage auf „potenziell verflechtungsrelevante“ Kontakte insbesondere mit Vertretern von Banken und Verbänden jedenfalls ein eingeschränkter Informationszugang sowohl dem berechtigten Informationsinteresse als
auch den nachvollziehbaren und berechtigten Sicherheitsinteressen der Bundeskanzlerin gerecht werden könnte.
Über den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens werde ich weiter berichten.

Select target paragraph3