Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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Verantwortlichkeitszusammenhang gegenüber dem Repräsentationsorgan herstellt, schließt deswegen eine Kontrolle durch die öffentliche Meinung, die auf fundierte Informationen angewiesen ist, nicht aus. Vielmehr können
sich diese verschiedenen Kontrollen auch ergänzen. Dieser staatsrechtlichen Verortung des vom Informationsfreiheitsgesetz ermöglichten Informationszugangs steht nicht
entgegen, dass er als Jedermannrecht nicht dem Staatsbürger als dem Zurechnungsendsubjekt der demokratischen
Legitimation der Staatsgewalt vorbehalten ist. Denn der
auf die demokratische Willensbildung bezogene Wirkungszusammenhang wird durch eine in personeller Hinsicht überschießende Regelung nicht beeinträchtigt.“
Begrüßenswert ist nicht nur die deutliche Klarstellung des
Anwendungsbereiches des IFG, sondern auch die Präzisierung des im IFG selbst nicht ausdrücklich vorgesehenen, aus
dem Verfassungsrecht abgeleiteten (ungeschriebenen) Versagungsgrundes des Schutzes des sog. „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“. Bereits in meinem ersten Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit (1. TB Nr. 2.2.2.3) hatte
ich darauf hingewiesen, dass dieser – in der amtlichen Begründung des IFG (Bundestagsdrucksache 15/4493, S. 12)
unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Flick-Untersuchungsausschuss (BVerfGE 67,
100, 139) statuierte – verfassungsunmittelbare Ablehnungsgrund allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen kann. Dies nicht zuletzt deshalb, weil
viele der Gesichtspunkte, die seinerzeit für das Bundesverfassungsgericht entscheidend waren, in den gesetzlich ausdrücklich formulierten Ausnahmetatbeständen der §§ 3
und 4 IFG bereits enthalten sind. In dieser Auffassung sehe
ich mich durch das BVerwG bestätigt:
K a s t e n d z u N r. 3 . 2 . 1
Auszug aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 2011 – 7 C 3.11 – (Rn. 31)
„D[as] Anliegen [des Schutzes des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung] überschneidet sich indessen jedenfalls teilweise mit geschriebenen Versagungsgründen, insbesondere dem nach § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG.
Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang
nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden
beeinträchtigt werden. Der Schutz der Vertraulichkeit behördlicher Beratungen und das daraus folgende Verbot
der Offenlegung von Beratungsinterna kann dabei über
den Abschluss des laufenden Verfahrens hinausreichen.
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind auch offen
für die Berücksichtigung des präventiven Schutzes der
Funktionsfähigkeit der Regierung. Hiernach spricht viel
dafür, dass den verfassungsrechtlichen Vorgaben bereits
im Rahmen der vorrangig zu prüfenden gesetzlich normierten Versagungsgründe Rechnung getragen werden
kann. Falls sich gleichwohl Schutzlücken auftun sollten,
ist auf verfassungsunmittelbare Grenzen des Informationsanspruchs zurückzugreifen. Ob eine solche Sondersituation hier gegeben ist, bedarf keiner Entscheidung.
Denn es ist nichts dafür dargetan, dass die streitigen Ministervorlagen am Schutz des Kernbereichs teilhaben.“
Drucksache 17/9100
Die Urteile des BVerwG vom 3. November 2011 haben
grundlegende und weitreichende Bedeutung für die Anwendungspraxis des IFG. Die Ministerien können sich
künftig nicht mehr hinter dem Begriff des „Regierungshandelns“ verstecken, sondern dürfen Unterlagen aus ihrem Bereich nur noch dann zurückhalten, wenn – im
jeweiligen Einzelfall konkret darzulegende – Ausnahmetatbestände erfüllt sind. Dies ist ein wichtiger Meilenstein
in der Rechtsprechung zum IFG.
3.2.2
Vorbereitung von Rechtsverordnungen
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin schließt die Anwendung des IFG des Bundes auf die rechtsetzende Tätigkeit
von Behörden bei Erlass von Rechtsverordnungen und
Satzungen aus. Dem kann ich mich nicht anschließen.
In meinem 2. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit
hatte ich über eine Anfrage zur Offenlegung der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berichtet (2. TB Nr. 4.11.1).
Der Antrag richtete sich auf Informationen, die beim
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) entstanden waren, um die auf der Grundlage von § 40 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – erlassene Regelsatzverordnung vom 3. Juni 2004 vorzubereiten.
Die Klage gegen die Ablehnung des Informationszugangs
blieb erfolglos (vgl. Nr. 5.8.1).
Das VG Berlin vertritt in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 2010 – VG 2 K 9.09 – die Auffassung, die Rechtsetzung der vollziehenden Gewalt falle nicht unter das IFG.
Weder im Gesetz selbst noch in den Materialien sei erkennbar, dass das IFG auf die rechtsetzende Tätigkeit von
Behörden Anwendung finden solle. Die Kammer stützt
sich hierbei auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. November 2008
(– 12 B 50.07 –), nach der es sich bei der Tätigkeit des
Bundesrates im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Rechtsverordnungen des Bundes zwar im weiteren Sinne um öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit
handele, die jedoch nicht dem § 1 Absatz 1 Satz 1 IFG
unterliege.
In den Entscheidungsgründen lehnt das VG Berlin sogar
den Zugang zu Informationen über die Vorbereitung von
Satzungen ab. Diese Auffassung wird von mir nicht geteilt. Würde die gesamte exekutive Rechtsetzung vom Informationszugang ausgeschlossen, entstünde nicht nur
eine schwerwiegende Transparenzlücke, sondern auch ein
Systembruch: Die Vorbereitung von (Parlaments-)Gesetzen unterliegt nach der aktuellen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) grundsätzlich dem
IFG, während die Vorbereitung von Rechtsverordnungen,
die auf Grund gesetzlicher Ermächtigung durch einzelne
Ministerien bzw. die Bundesregierung erlassen werden
dürfen, intransparent bliebe. Die Vorbereitung von
Rechtsverordnungen durch die Ministerien unterfällt deshalb ebenso wie die vom BVerwG erörterte Vorbereitung
von Gesetzentwürfen durch die Ministerien grundsätzlich
dem IFG (zu den beiden Urteilen zur „Regierungstätigkeit“ vom 3. November 2011 vgl. Nr. 3.2.1).
3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit