Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– 21 –
Amtsträger, ist eine Einwilligung unter bestimmten Voraussetzungen und nach Abwägung entbehrlich, soweit
die Informationen ihre zeitgeschichtliche Rolle bzw. ihre
Funktions- oder Amtsausübung betreffen. Dieses heutige
Regelungskonzept ist Ergebnis verschiedener „Nachjustierungen“ durch den Gesetzgeber, die insbesondere
durch die höchstrichterliche Rechtsprechung im Fall des
ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl ausgelöst
worden waren, der sich erfolgreich gegen die Offenlegung ihn betreffender Stasi-Unterlagen gewehrt hatte
(vgl. hierzu ausführlich meinen 19. TB zum Datenschutz
Nr. 7.6.1). Es findet einen vertretbaren Ausgleich zwischen Aufarbeitungsinteresse und Datenschutz und kann
daher durchaus als Vorbild etwa für die wissenschaftliche
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Mitarbeitern in
Bundesbehörden dienen (vgl. auch Nr. 3.3.2.1).
Ich begrüße, dass auch die jüngste Novellierung des
StUG (Achtes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 22. Dezember 2011, BGBl. I S. 3106)
die Zugangsregelungen weiter verbessert. So wurde der
Zugang naher Angehöriger zu den Unterlagen vermisster
oder verstorbener Verwandter erleichtert. Für Forscher
und Journalisten besteht nun die Möglichkeit, die für den
Zugang zu Unterlagen Verstorbener geltende Schutzfrist
zu verkürzen. Und die Vorschrift, die bereits zuvor eine
zweckfreie Verwendung für jedermann von Richtlinien,
Dienstanweisungen sowie Organisations- und Stellenplänen des Staatssicherheitsdienstes vorsah, wurde auf sämtliche Unterlagen erweitert, die vom Ministerium für
Staatssicherheit nicht gezielt zu Personen angelegt waren.
Im Verhältnis zum IFG handelt es sich beim StUG um
den Prototyp abschließender spezialgesetzlicher Zugangsregelungen im Sinne des § 1 Absatz 3 IFG, die im
Rahmen ihres Anwendungsbereichs das IFG verdrängen
(vgl. auch Gesetzesbegründung zum IFG, Bundestagsdrucksache 15/4493, S. 8). Der Zugang zu den Stasi-Unterlagen als solchen richtet sich also ausschließlich nach
den Vorgaben des StUG. Hinsichtlich seiner allgemeinen
Verwaltungstätigkeit unterliegt der BStU jedoch wie jede
Bundesbehörde dem IFG. Die Abgrenzung von StUG und
IFG kann dabei im Einzelfall schwierig sein, insbesondere wenn Informationen aus den Stasi-Unterlagen – berechtigterweise – Eingang in Verwaltungsvorgänge des
BStU gefunden haben (vgl. hierzu 2. TB zur Informationsfreiheit Nr. 4.3.3).
3
Informationsfreiheit: Bestandsaufnahme
3.1
Überblick
Im Berichtszeitraum hat die Rechtsprechung einzelne
Probleme geklärt, auf die ich in meinem 2. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit hingewiesen hatte. Dies gilt
insbesondere für die Anwendung des IFG auf die Regierungstätigkeit, aber auch auf die Informationen, die beim
Bundesrechnungshof anfallen.
Die Rechtswissenschaft hat mit dem Gutachten von
Prof. Dr. Michael Kloepfer zur Bedeutung der Betriebsund Geschäftsgeheimnisse im Informationsfreiheitsrecht
einen wichtigen Beitrag geleistet.
Drucksache 17/9100
Das Verhältnis von Informationsfreiheit und Datenschutz
wurde im Berichtszeitraum u. a. anlässlich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Institutionen und Personen thematisiert.
Auch bei weiteren grundsätzlichen Fragestellungen der
Informationsfreiheit im nationalen und internationalen
Bereich hat es wichtige Entwicklungen gegeben.
3.2
Grundsatzfragen im Spiegel der
Rechtsprechung
3.2.1
Endlich Transparenz bei „Regierungshandeln“!
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat klargestellt, dass auch die Bundesministerien zu den auskunftspflichtigen Behörden zählen. Die Annahme, ministerielle
Tätigkeit sei als „Regierungshandeln“ generell vom
Recht auf Informationszugang ausgenommen, ist damit
hoffentlich vom Tisch.
In meinem 2. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit
(Nr. 2.1.1) hatte ich über eine äußerst bedenkliche Entwicklung berichtet: Ausgelöst durch die Rechtsprechung
des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin war die Ministerialverwaltung dazu übergegangen, sich unter Berufung auf
„Regierungstätigkeit“ dem Anwendungsbereich des IFG
zu entziehen. Das VG Berlin hatte in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2007 und 2008 die Auffassung entwickelt, das IFG gelte nur, soweit öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrgenommen würden, nicht aber für
sog. Regierungstätigkeit. Bei Regierungstätigkeit, wozu
unter anderem auch die Vorbereitung und Begleitung von
Gesetzentwürfen in der Ministerien zähle, handele die betreffende Stelle – so das VG Berlin – nicht als Behörde im
Sinne des § 1 Absatz 1 IFG und sei daher nicht zur Informationsgewährung verpflichtet. Ich hielt diese Auffassung nicht nur für vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt,
sondern auch im Hinblick auf wachsende Klagen über
Lobbyarbeit und Einflussnahme auf die Gesetzgebung
von außen für sehr problematisch. Zudem zeigte die Praxis, dass sich der Begriff der „Regierungstätigkeit“ von
den Ministerien nahezu beliebig ausweiten ließ.
Das BVerwG hat dieser Entwicklung nunmehr einen Riegel vorgeschoben und in zwei Revisionsentscheidungen
vom 3. November 2011 – 7 C 3.11 und 7 C 4.11 – unmissverständlich klargestellt, dass auch die Bundesministerien zu den auskunftspflichtigen Behörden gehören.
Eine Unterscheidung zwischen dem Verwaltungs- und
dem Regierungshandeln eines Ministeriums sei im Gesetz
nicht angelegt und auch nach dem Gesetzeszweck nicht
gerechtfertigt. Beide vom BVerwG entschiedenen Fälle
betrafen den Informationszugang beim Bundesministerium der Justiz (BMJ). Im ersten Fall hatte der Kläger
Einsicht u. a. in – sachlich inzwischen überholte – „interne“ Vorlagen für die Ministerin zur Frage der Reformbedürftigkeit des Kindschaftsrechts beantragt (vgl. auch
Nr. 5.12.1), im zweiten Fall ging es um den Zugang zu
Stellungnahmen des BMJ, die dieses in zwei mittlerweile
abgeschlossenen Petitionsverfahren gegenüber dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages abgegeben
hatte. In beiden Fällen hat das BVerwG die den Klagen
stattgebenden Berufungsentscheidungen des Oberverwal-
3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit