Drucksache 14/5555
– 50 –
deutlich mehr dem heutigen verfassungsgerichtlichen
Verständnis von Wert und Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses.
Ich appelliere allerdings weiter an den Gesetzgeber, möglichst rasch § 12 FAG neu zu gestalten und in die Strafprozessordnung einzugliedern. Dabei sollte ein Katalog
der Straftaten entwickelt werden, bei denen die Verbindungsdaten für die Verfolgung von Straftaten mitgeteilt
werden dürfen. Wichtig ist auch, eine Schutzklausel für
Telefonate von Personen zu schaffen, die zur Wahrung
von Berufsgeheimnissen verpflichtet sind, wie z. B.
Priester, Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten. Der vom
Gesetzgeber durch die bestehenden Zeugnisverweigerungsrechte anerkannte Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen bestimmten Berufsangehörigen und Dritten,
die deren Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen,
muss auch im Zeitalter moderner Telekommunikation gewahrt bleiben.
6.4.2
Ich habe in der Diskussion um derartige besonders einschneidenden strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse
mehrfach neue, vertrauensbildende Maßnahmen für eine
Stärkung des Persönlichkeitsrechts gefordert (s. 17. TB
Nr. 1.5). Solche vertrauensbildenden Maßnahmen könnten sein:
n
n
n
Erneut alarmierender Anstieg der
Telefonüberwachung!
In den letzten Jahren ist die Zahl der nach der Strafprozessordnung angeordneten Telefonüberwachungen ständig angestiegen. Mit Zahlen lässt sich dies wie folgt belegen: In 1995 wurden 4 674, in 1996 bereits 6 428, in 1997
dann 7 776 und in 1998 insgesamt 9 802 Anordnungen erlassen. Im Jahr 1999 schließlich wurden 12 651 Anordnungen vorgelegt. Das bedeutet auf das Jahr 1995 bezogen eine Steigerung um fast 175 %, allein für das
Jahr 1999 immerhin eine Steigerung um fast 30 %. Angesichts dieser sehr hohen Zahl von Eingriffen in einen besonders sensiblen Bereich, nämlich den der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes, muss Klarheit über die
Gründe für diesen großen Anstieg geschaffen werden.
Diesen Anstieg von Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis beobachte ich mit großer Sorge. Seit Jahren appelliere
ich an die Strafverfolgungsbehörden, dieses Mittel sparsam einzusetzen; zugleich fordere ich vertrauensbildende
Maßnahmen.
Der Katalog der Straftaten, die eine Telefonüberwachung
nach der Strafprozessordnung erlauben, ist in der Vergangenheit mehrfach erweitert worden. Wenn dies auch für
eine wirksame Verbrechensbekämpfung notwendig sein
mag, so ist es aber erforderlich, den tatsächlichen Erfolg
zu prüfen und das Persönlichkeitsrecht im Ausgleich hierfür zu stärken. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es einer gründlichen Bestandsaufnahme und Evaluierung des strafprozessualen und
polizeirechtlichen Instrumentariums, um einerseits wegen der gebotenen Effizienz und andererseits wegen der
Einschränkung von Grundrechten Verdächtiger und erst
recht Unbeteiligter das richtige Maß zu finden. Eingriffsbefugnisse müssen deshalb nach ihrer Einführung und
Anwendung hinsichtlich ihrer Wirkungen bewertet werden können, um sowohl ein Unter- als auch ein Übermaß
zu vermeiden. Der Bürger muss nachvollziehen können,
weshalb solche Eingriffe in seine Freiheit auch in einem
Rechtsstaat gerechtfertigt sind.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
n
Jährliche Berichterstattung an den Deutschen Bundestag über Anlass, Verlauf, Ergebnis, Anzahl der Betroffenen und Kosten der Telefonüberwachung.
Verbesserung des Verfahrens der richterlichen Anordnung, z. B. indem die Zustimmung zur Überwachungsmaßnahme umfassend zu begründen ist, und
bestimmte Richter über den Überwachungsantrag
entscheiden, um die Verantwortung bis zur Beendigung der Maßnahme an diese Richter zu binden.
Einführung interner Erfolgskontrollen um festzustellen, ob die Telefonüberwachung wirklich nur als
„ultima ratio“, also als letztes mögliches Mittel, eingesetzt und nicht bereits als eine bequeme Standardmaßnahme in etwas komplexeren Ermittlungsverfahren angesehen wird.
Berücksichtigung von Zeugnisverweigerungsrechten, d. h., es sollten abgestufte Erhebungs- und Verwertungsverbote von Gesprächsinhalten geschaffen
werden, wenn durch Überwachungsmaßnahmen Gespräche von nicht tatverdächtigen Personen, denen
ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht (wie z. B.
Ärzten oder Geistlichen) aufgenommen wurden.
Für die Fälle der akustischen Wohnraumüberwachung hat
der Gesetzgeber erfreulicherweise Berichtspflichten der
Staatsanwaltschaft gegenüber der obersten Justizbehörde
und der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag auferlegt, die sogar im Grundgesetz verankert worden sind (s. o. Nr. 6.1). Entsprechende Berichtspflichten
halte ich auch für den Bereich der Telefonüberwachung
für unabdingbar. Es reicht einfach nicht aus, immer nur
auf die wachsende Bedrohung durch die Kriminalität hinzuweisen und die Telefonüberwachung als besonders
wichtiges Hilfsmittel im Kampf gegen Kriminalität darzustellen. Ich zweifle deren Notwendigkeit nicht an, der
Gesetzgeber sollte aber darüber informiert sein, wie sie in
der Praxis wirkt, welche Erfolge sie gebracht hat und was
mit den nicht mehr für das laufende Ermittlungsverfahren
benötigten Daten passiert. Bei einer umfassenden und fairen Erfolgskontrolle kann es letztlich nur Gewinner geben, da sie auf das von allen Beteiligten gleichermaßen
akzeptierte Ziel eines Freiheit und Sicherheit garantierenden Rechtsstaates gerichtet ist (vgl. u. Nr. 16.1.2 zu
G10-Maßnahmen).
Auch die Bundesregierung sieht ein Hauptaugenmerk in
der Frage, inwieweit Telefonüberwachungsmaßnahmen
wirklich zum Erfolg der staatlichen Strafverfolgung geführt haben. Hierzu wird auch das Ergebnis der vom BMJ
in Auftrag gegebenen Studie zur Frage der Rechtswirklichkeit und Effizienz von Telefonüberwachungen beitragen (s. u. Nr. 11.8). Ohne diesem Ergebnis vorgreifen zu
wollen, sollte ein sich gegebenenfalls zeigender Hand-