Drucksache 14/5555

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eindeutig der Fall. Dritte sind gemäß § 6 Abs. 7 StUG
sonstige Personen, über die der Staatsicherheitsdienst Informationen gesammelt hat. Diese Voraussetzung liegt
vor, wenn die Person der Zeitgeschichte inhaltlich Gegenstand der abgehörten Telefongespräche war. Nach § 6
Abs. 8 StUG ist für jede Information gesondert festzustellen, ob Personen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, Begünstigte, Betroffene oder Dritte sind, wobei
maßgebend ist, mit welcher Zielrichtung die Informationen in die Unterlagen aufgenommen worden sind. Nach
diesen gesetzlichen Definitionen kann es keinen Zweifel
geben, dass – für jedes Protokoll nach § 6 Abs. 8 StUG gesondert festgestellt – die Personen, die das Ziel von illegalen Abhörmaßnahmen waren, Betroffene im Sinne des
StUG, und die Personen, über die aus abgehörten Telefongesprächen gezielt Informationen gesammelt wurden,
Dritte im Sinne des StUG sind, wenn klar ist, dass sie weder Mitarbeiter noch Begünstigte der Stasi waren. Gemäß
den Begriffsdefinitionen des StUG ist Herr Leisler Kiep
in jedem Fall entweder Betroffener oder Dritter, sodass
eine Herausgabe der Protokolle zu Forschungszwecken
ohne seine Einwilligung nicht in Betracht kommen darf.
Trotz des insoweit eindeutigen Gesetzestextes vertritt die
BStU die Auffassung, bei Personen der Zeitgeschichte
und Amtsträgern greife dieser Persönlichkeitsschutz
nicht, soweit es um die Ausführung ihrer Ämter und ihre
öffentliche Funktion gehe. Lediglich der private Bereich
sei geschützt, sie könnten also Betroffene im Sinne des
Gesetzes nur als Privatpersonen und nur beschränkt auf
den privaten Bereich sein.
Diese Auffassung überzeugt mich nicht, denn auch nach
dieser Rechtsmeinung müsste das illegale Abhören des
nicht öffentlich gesprochenen Wortes, etwa in einem vertraulichen Telefonat, dem privaten Bereich zugeordnet
werden, weil sich der Betroffene nach seinem Selbstverständnis gerade nicht in der Öffentlichkeit bewegt hat.
Der BGH hat bereits im Jahr 1978 entschieden, dass
grundsätzlich jeder, auch der in der Öffentlichkeit stehende und sie suchende Politiker, Anspruch auf Wahrung
seiner Privatsphäre hat, zu der andere nur insoweit Zugang haben, als er ihnen den Zugang gestattet (BGHZ 73,
120 ff). Der BGH hat dies, wenn auch im Zusammenhang
mit dem Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit, ausdrücklich auch für die Fälle
festgestellt, in denen sich die Inhalte der illegal abgehörten Telefongespräche auf gesellschaftliche und politische
Fragen beziehen. Andernfalls würde der Persönlichkeitsschutz für Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger
partiell außer Kraft gesetzt, was mit dem Grundrechtsschutz des Art. 10 GG nicht zu vereinbaren wäre. Selbst
wenn unterstellt wird, dass illegal abgehörte Personen der
Zeitgeschichte und Amtsträger keine Betroffenen oder
Dritte im Sinne des StUG sind, wäre eine Herausgabe der
Protokolle nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz StUG
nur zulässig, soweit durch die Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden. Angesichts des hohen
Ranges, der dem verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnis vom Bundesverfassungsgericht immer
wieder eingeräumt worden ist, sehe ich im illegalen Ab-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

hören von Telefongesprächen und der Verwendung inhaltlicher Aufzeichnungen davon einen so weitgehenden
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, dass die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person überwiegen und
eine Herausgabe weder zu Forschungszwecken noch an
die Medien möglich ist.
Die Herausgabe der Stasi-Abhörprotokolle im Fall
Leisler Kiep war also nach den Vorschriften des StUG
nicht zulässig. Aus diesem Grund habe ich dann auch umgehend eine Beanstandung nach § 25 BDSG ausgesprochen.
5.8.2

Rosenholz-Papiere: Verwendung der
Agentenkartei der Stasi

Ende 1999 erschienen Pressemeldungen, nach denen die
Klarnamenkartei des DDR-Spionageapparates von der
Regierung der Vereinigten Staaten an Deutschland
zurückgegeben werden sollte. Dabei handelt es sich um
die sog. F 16-Kartei, die unter nicht geklärten Umständen
durch eine Operation des amerikanischen Geheimdienstes
mit dem Decknamen „Rosenholz“ in den Besitz der USA
geriet. Diese Kartei enthält u. a. die Namen von Agenten,
die in der Bundesrepublik oder in anderen Ländern für die
Stasi tätig waren. Es ist jedoch nicht erkennbar, was genau jemand getan hat und ob er Spion oder nur Spionageziel war. Diese Klarheit ergibt sich erst im Zusammenspiel zwischen der F 16-Kartei und der bereits bekannten
sog. F 22-Kartei (Vorgangskartei), das erkennbar macht,
ob jemand Agent oder Opfer war. Die Pressemeldungen
habe ich zum Anlass genommen, beim BMI und bei der
BStU nachzufragen, wie diese Unterlagen rechtlich einzustufen sind und wie sie behandelt werden sollen.
Die BStU hat mir mitgeteilt, dass nicht die in den USA
vorliegenden Originale, sondern Kopien von Sicherheitsverfilmungen der genannten Karteien sowie von Statistikbögen der für die Auslandsspionage zuständigen
Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Staatssicherheitsdienstes auf CD-ROM übergeben werden. Das BMI
hat mitgeteilt, dass es sich bei den Inhalten der Datenträger – bisher wurden drei CD-ROM zur Verfügung gestellt – um „sonstige Duplikate“ im Sinne von § 6 Abs.1
Nr. 1 b) StUG handelt, deren weitere Behandlung sich
nach den Vorschriften dieses Gesetzes richtet. Vor diesem
Hintergrund gehe ich von einem sorgfältigen Umgang mit
diesen sensiblen Daten aus.
Ergänzend hat das BMI darauf hingewiesen, dass die Lieferung der weiteren etwa 1 000 zu erwartenden CD-ROM
noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird.
5.8.3

Weitere Beratungen und Kontrollen der
BStU und ihrer Außenstellen

Im Berichtszeitraum habe ich sowohl die Zentrale in Berlin als auch zwei Außenstellen der BStU beraten und kontrolliert. Dabei habe ich im Großen und Ganzen erneut einen sorgfältigen und gewissenhaften Umgang mit den
äußerst sensiblen Unterlagen wahrgenommen. Soweit ich
anlässlich der Besuche auf Mängel gestoßen bin, sind
diese nach Möglichkeit umgehend behoben worden. Er-

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