Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
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Schutz kann der Betroffene allerdings verzichten, beispielsweise wenn er den Kommunikationsvorgang selbst
offen legt oder in die Kenntnisnahme durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse einwilligt.
Es stellt sich daher die weitere Frage, ob dieser Eingriff in
das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis durch das
StUG gerechtfertigt ist, wobei einzig § 22 StUG in Betracht kommt. Dabei ist zu fragen, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss unabhängig von seinem
Untersuchungsauftrag auf alle Stasi-Unterlagen zugreifen
darf oder ob dies nur dann zulässig ist, wenn der Gegenstand der Untersuchung mit den Zielen des StUG in Übereinstimmung steht. Wenngleich der Wortlaut des § 22
StUG für eine unbegrenzte Zugriffsmöglichkeit zu sprechen scheint, ist diese Vorschrift – wie auch die übrigen
Regelungen des Gesetzes – vor dem Hintergrund der allgemeinen und grundsätzlichen Bestimmungen des Gesetzes zu betrachten. Damit sind vor allem die besonderen
Verwendungsverbote gemäß § 5 StUG angesprochen,
vorrangig das sog. Nachteilsverbot gemäß § 5 Abs. 1
Satz 1 StUG. Dieses lautet: „Die Verwendung personenbezogener Informationen über Betroffene oder Dritte, die
im Rahmen der zielgerichteten Informationserhebung
oder Ausspähung des Betroffenen einschließlich heimlicher Informationserhebung gewonnen worden sind, zum
Nachteil dieser Personen ist unzulässig.“ Dieses Verwendungsverbot gilt für alle Vorschriften des StUG, es sei
denn, seine Anwendung ist ausdrücklich ausgeschlossen,
was in § 22 StUG nicht der Fall ist.
Darüber hinaus ergibt auch eine an Sinn und Zweck des
StUG orientierte Auslegung den Vorrang des § 5 StUG.
Das StUG regelt die Erfassung, Erschließung, Verwaltung
und Verwendung der Unterlagen des MfS. Damit verbunden sind die in § 1 des Gesetzes genannten Zwecke:
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Dem Einzelnen den Zugang zu ermöglichen, um die
Einflussnahme der Stasi auf sein persönliches
Schicksal aufzuklären;
den Einzelnen davor zu schützen, durch den Umgang
mit den Stasi-Unterlagen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu werden;
die historische, politische und juristische Aufarbeiung der Tätigkeit der Stasi zu gewährleisten;
öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen für die in diesem Gesetz genannten Zwecke zur Verfügung zu stellen.
Das Gesetz will also vor allem die Persönlichkeitsrechte
dieser Personen schützen, ist also ein Gesetz zum Schutz
der Opfer. In diesem Lichte ist auch der letztgenannte
Zweck zu sehen. In erster Linie sollen die Machenschaften der Stasi aufgeklärt, die Opfer rehabilitiert und die Täter bestraft werden. Somit folgt aus dem Sinn und Zweck
des Gesetzes, dass nur solche parlamentarischen Untersuchungsausschüsse Zugang zu den Stasi-Unterlagen erhalten dürfen, deren Gegenstand die Aufarbeitung der Tätigkeit der Stasi oder der Schutz des Persönlichkeitsrechts
gegen die von Stasi-Unterlagen ausgehenden Gefahren
nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StUG ist.
Drucksache 14/5555
5.8.1.2 Verwendung durch Wissenschaftler
und Medien
Bis April 2000 bin ich davon ausgegangen, dass die BStU
keine Stasi-Abhörprotokolle von Betroffenen (Opfern)
ohne deren Einwilligung an Medien herausgibt. Aufgrund
von Presseveröffentlichungen in FOCUS und SPIEGEL
vom 3. April 2000 wurde jedoch bekannt, dass Journalisten Anträge auf Akteneinsicht nach dem StUG in
Unterlagen über den ehemaligen Schatzmeister der CDU
Leisler Kiep gestellt und daraufhin entsprechende Unterlagen erhalten haben. Hierunter befanden sich auch StasiAbhörprotokolle, bei denen noch nicht einmal private Details geschwärzt waren. Über die Medien erfuhr ich also
erstmals im Fall Leisler Kiep, dass die BStU Stasi-Abhörprotokolle an die Medien herausgegeben hat, in denen
der Betroffene nicht Täter oder Begünstigter, sondern Opfer des MfS war, weil er zielgerichtet ausgespäht wurde.
Die Frage, ob und in welchem Umfang Unterlagen der
Stasi an Wissenschaftler und Medien herausgegeben und
ggf. veröffentlicht werden können, richtet sich nach § 32
Abs. 1 und § 32 Abs. 3 StUG (Forschung) bzw. nach
§ 34 Abs. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 und § 32 Abs. 3 StUG
(Medien).
Nach § 32 Abs. 1 StUG stellt die BStU für die Forschung
zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit der Stasi sowie für Zwecke der politischen Bildung u. a. Unterlagen mit personenbezogenen
Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber
politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes zur Verfügung, soweit sie nicht Betroffene oder
Dritte sind und soweit durch die Verwendung keine überwiegend schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden. Gemäß § 34 Abs. 1 StUG, der
für die Verwendung von Unterlagen durch die Medien die
entsprechende Anwendung des § 32 Abs. 1 StUG vorsieht,
wird der Zugriff durch die Medien auf die Unterlagen der
Stasi unter denselben Voraussetzungen gestattet, unter denen sie für die Forschung und die politische Bildung zur
Verfügung stehen. Dabei können nach § 33 Abs. 3 StUG
auf Verlangen auch Duplikate der Unterlagen herausgegeben werden, soweit die Einsichtnahme in die Unterlagen gestattet ist.
Wie diese Vorschriften zu verstehen sind, lässt sich nachfolgend am Fall Leisler Kiep gut darlegen:
Aufgrund seiner damaligen Funktion als Schatzmeister
der CDU ist Herr Leisler Kiep als Person der Zeitgeschichte bzw. als Inhaber einer politischen Funktion einzustufen. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 erster Anstrich StUG war
demzufolge vor einer Herausgabe von Unterlagen mit
personenbezogenen Informationen zu prüfen, ob er Betroffener oder Dritter ist, was eine Herausgabe unzulässig
macht.
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 StUG sind Betroffene Personen, zu
denen der Staatssicherheitsdienst aufgrund zielgerichteter
Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich
heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat. Dies ist bei Opfern illegaler Abhörmaßnahmen