Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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sen und anderen Stellen bereits nach den Ersterhebungen
bei dem Versicherten möglich sein sollen. Demgegenüber
setzt die Erhebung medizinischer Daten in § 199 Abs. 3
SGB VII voraus, dass zuvor hinreichende Anhaltspunkte
für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung festgestellt sein sollen. Von dieser Reihenfolge kann nur abgewichen werden, wenn die Expositionsermittlung in
besonders gelagerten Einzelfällen zu einem unverhältnismäßigen Aufwand führen würde.
Zum anderen ist die Empfehlung des BK-Reports zur arbeitsmedizinischen Beratung weder mit § 200 Abs. 2
SGB VII noch mit den Verhandlungsergebnissen über Abgrenzungskriterien von Gutachter und beratendem Arzt
(s. o. Nr. 23.1) vereinbar. Der beratende Arzt soll mit einer Beurteilung nach Aktenlage oder mit einer Untersuchung beauftragt werden können, ohne dem Betroffenen
das in § 200 Abs. 2 SGB VII enthaltene Gutachterauswahlrecht einzuräumen. Demgegenüber argumentiert der
HVBG, die ärztlichen Feststellungen seien eine „Anknüpfungstatsache“, um überhaupt in eine Kausalitätsprüfung zwischen Einwirkung und Erkrankung eintreten
zu können. Dagegen beginnt das unfallversicherungsrechtliche Anerkennungs- und Feststellungsverfahren bereits mit der BK-Verdachtsanzeige, in dem § 200 Abs. 2
SGB VII anzuwenden ist. In den gesetzlichen Regelungen
findet die Konstruktion eines „Vorfelds einer Begutachtung“ keine Grundlage.
Inzwischen hat der HVBG erklärt, dass in der demnächst
erscheinenden Neuauflage des BK–Reports keine Verfahrensempfehlungen mehr enthalten sind.
23.1.2 Vorschlagsrecht des Versicherten
Das Recht des Versicherten, vor einem Gutachtenauftrag
i. S. des § 200 Abs. 2 SGB VII selbst einen oder mehrere
Gutachter vorzuschlagen, war schon in der Gesetzesbegründung zu § 200 Abs. 2 SGB VII genannt und ist zwischenzeitlich mehrfach vom BMA bestätigt worden.
Dieses hat klargestellt, dass die von den Versicherten vorgeschlagenen Gutachter von den Unfallversicherungsträgern grundsätzlich beauftragt würden, wenn diese geeignet sind. Sollte dem Vorschlag eines Versicherten nicht
gefolgt werden, sei die Ablehnung nachvollziehbar zu begründen.
Demgegenüber war das Gutachtervorschlagsrecht von
Berufsgenossenschaften in verschiedenen Eingabefällen
zunächst abgelehnt und erst auf meine Intervention eingeräumt worden. In anderen Fällen waren die vorgeschlagenen Gutachter ohne oder mit kaum nachvollziehbaren
Begründungen als nicht geeignet abgelehnt worden. So
hatte eine Berufsgenossenschaft ausgeführt, geeignet
seien nur Gutachter, die der Berufsgenossenschaft bereits
bekannt seien. Eine andere Berufsgenossenschaft hatte
den Chefarzt eines Krankenhauses als Gutachter u. a. abgelehnt, weil die Versicherte sich bereits drei Wochen in
seiner stationären Behandlung befunden hatte, und es somit an der Unvoreingenommenheit fehle.

Drucksache 14/5555

In meinem 17. TB habe ich noch berichtet, dass Versicherte von keiner Berufsgenossenschaft auf ihr Vorschlagsrecht hingewiesen wurden und deshalb in den
Verhandlungen über die Musterdienstanweisung – Datenschutz mit dem HVBG ein „Pilotprojekt“ vereinbart
wurde (vgl. 17. TB Nr. 23.4.1). Dieses Projekt ist zwischenzeitlich von einer Berufsgenossenschaft mit sehr
positiven Erfahrungen umgesetzt worden: Mit dem
Schreiben zum Gutachtervorschlag wurde der Versicherte
auf sein Recht hingewiesen, selbst einen Gutachter vorzuschlagen. Zugleich wurde er darüber informiert, ob und
ggf. welcher Gutachter für die Berufsgenossenschaft auch
als beratender Arzt tätig ist. Die Auswertung wurde für
Unfallverfahren und BK–Verfahren getrennt vorgenommen. In den Unfallverfahren wurde von den Versicherten
in keinem Fall von dem eigenen Gutachtervorschlagsrecht Gebrauch gemacht, da die Berufsgenossenschaften
im Regelfall den behandelnden Arzt für ein Gutachten
vorschlugen, der den Versicherten am besten kennt und zu
dem bereits ein Vertrauensverhältnis besteht. In den
BK-Verfahren waren fast 70 % der Versicherten mit dem
von der Berufsgenossenschaft an erster Stelle genannten
Gutachter einverstanden. In etwa 10 % der Fälle haben die
Versicherten eigene Gutachter vorgeschlagen, die überwiegend beauftragt werden konnten und deren Gutachten
nur zu einem äußerst geringen Prozentsatz nicht hinreichend begründet waren oder Abweichungen zu allgemeinen Erfahrungssätzen aufwiesen.
Die ursprünglichen Befürchtungen, dass die Versicherten
ungeeignete Gutachtervorschläge unterbreiten und sich
die Verfahren dadurch wesentlich verzögern würden, haben sich insgesamt nicht bestätigt. Die Erfahrungen waren im Gegenteil so überzeugend, dass die Berufsgenossenschaft, die das Pilotverfahren durchgeführt hat,
künftig in allen Bezirksverwaltungen entsprechende Hinweise an die Versicherten geben wird. Angesichts vieler
Vorbehalte anderer Berufsgenossenschaften gegen ein
ausdrückliches Vorschlagsrecht des Versicherten findet
das Vorgehen dieser Berufsgenossenschaft meine volle
Anerkennung.
Um die Auswirkungen der Hinweise auf das Gutachtervorschlagsrecht besser einschätzen zu können, ist nunmehr vor einer Empfehlung des HVBG, dieses Verfahren
allgemein umzusetzen, vorgesehen, dass zwei weitere Berufsgenossenschaften das Pilotverfahren durchführen.
23.1.3 Gutachtenauftrag unter Ausschluss der
Betroffenen
Immer noch höre ich von vielen Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung, dass ihr Recht nach § 200
Abs. 2 SGB VII, vor Erteilung eines Gutachtenauftrages
aus mehreren vorgeschlagenen einen Gutachter auswählen zu können und auch selbst Gutachter vorzuschlagen, eingeschränkt wird. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass Berufsgenossenschaften insbesondere in
schwierigen oder von der Routine abweichenden Fallkonstellationen dazu neigen, die Rechte nach § 200 Abs. 2
SGB VII restriktiv auszulegen. Begründet wird diese Haltung damit, dass die Inanspruchnahme von Selbstbestim-

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