Drucksache 14/5555

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tracht der jeweiligen Beauftragung mit einer umfassenden
Bewertung zur haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität und/oder der Höhe der MdE (Minderung der Erwerbstätigkeit) nicht überzeugt, zumal von
keiner Berufsgenossenschaft bestritten wird, dass der beratende Arzt auch ein Gutachten erstellen kann. In drei
Eingabefällen war die ablehnende Entscheidung sogar
ausdrücklich auf die Stellungnahme des beratenden Arztes gestützt worden.
Die dargestellte Problematik bei der Anwendbarkeit des
§ 200 Abs. 2 SGB VII wird dadurch verschärft, dass das
Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsichtsbehörde der
Berufsgenossenschaften eine weitere, divergierende Auffassung vertritt. Denn das BVA geht nur dann von einem
Gutachten i.S. der genannten Vorschrift aus, wenn die
Stellungnahme des beratenden Arztes – wie in den drei
letztgenannten Eingabefällen – ausdrücklich im Bescheid
genannt wird. Wird die Stellungnahme dagegen im Bescheid nicht erwähnt, handele es sich dagegen lediglich
um eine interne Beweiswürdigung.
Die rückblickende Beurteilung, ob der eingesetzte Arzt
als Gutachter oder Berater gehandelt hat, ist zwar aus der
Aufgabenstellung einer Aufsichtsbehörde verständlich,
wird aber dem datenschutzrechtlichen Ansatz des § 200
Abs. 2 SGB VII nicht gerecht. Vielmehr ist von der Situation vor der Gutachterbeauftragung auszugehen, denn
nur vor der Beauftragung des Gutachters können dem
Versicherten die Rechte nach § 200 Abs. 2 SGB VII überhaupt gewährt werden. Es trägt auch nicht zur Transparenz des Verfahrens bei, die Entscheidung, ob eine Stellungnahme als Gutachten oder als interne Beratung
gewertet wird, bis zur Erteilung des Bescheides offen zu
lassen.
Um noch vor einer einvernehmlichen Lösung mit dem
BVA eine datenschutzfreundliche Handhabung des § 200
Abs. 2 SGB VII sicherzustellen, habe ich zugleich mit
dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) im Rahmen einer Fortschreibung der
Musterdienstanweisung Gespräche über mögliche Abgrenzungskriterien zwischen der beratungsärztlichen
Tätigkeit und der Einschaltung eines Gutachters geführt.
Die Schwierigkeiten bei der Aufstellung dieser Kriterien
besteht darin, dass eine Beratung im Sinne einer Erläuterung oder Vermittlung allgemeiner medizinischer Sachverhalte durch den beratenden Arzt zwar möglich sein
soll, vor der Beauftragung des beratenden Arztes mit einem Gutachten aber dem Versicherten die Rechte des
§ 200 Abs. 2 SGB VII zu gewähren sind.
Vor diesem Hintergrund wurden folgende Fallkonstellationen gebildet, in denen eine beratungsärztliche Tätigkeit
angenommen werden kann:
n

Fälle, in denen die Verwaltung des Unfallversicherungsträgers aufgrund eigener Erkenntnis in der Lage
ist, selbst einen Entscheidungsvorschlag zu erarbeiten,
den der beratende Arzt hinsichtlich evtl. Fallbesonderheiten prüfen soll. Weicht die Stellungnahme des beratenden Arztes vom Entscheidungsvorschlag ab oder

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weist sie auf klärungsbedürftige Sachverhalte hin, ist
über die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, insbesondere der Einholung eines Gutachtens, zu entscheiden.

n

n

Medizinisch klar gelagerte Fälle, in denen es dem beratenden Arzt möglich ist, schon aufgrund des Akteninhalts eine Stellungnahme abzugeben, die zur abschließenden Entscheidung der Sachbearbeitung oder
zur Auftragsvergabe an einen Gutachter führt.
Fälle, in denen ein Gutachten vorliegt und der beratende Arzt gebeten wird, zur Schlüssigkeit des Gutachtens Stellung zu nehmen. Bei fehlender Schlüssigkeit
hat sich der beratende Arzt im Regelfall darauf zu beschränken, die Rückgabe des Gutachtens an den
Gutachter mit konkreten Fragestellungen oder die Einholung eines weiteren Gutachtens vorzuschlagen. Ausnahmsweise kann der beratende Arzt bei fehlender
Schlüssigkeit des Gutachtens und eindeutiger Befundlage einen begründeten Vorschlag zur Entscheidung in
einzelnen Sachfragen machen. Bevor die Berufsgenossenschaft eine von den Aussagen des Gutachtens abweichende Entscheidung trifft, hat sie dem Gutachter
Gelegenheit zur Gegenäußerung zu geben.

Umgekehrt ist bei einer ärztlichen Beurteilung nach körperlicher Untersuchung von einer gutachtlichen Tätigkeit
auszugehen und damit § 200 Abs. 2 SGB VII zu beachten,
d. h. dem Betroffenen sind mehrere geeignete Gutachter
zur Auswahl zu benennen. Das gilt auch für Fälle zur Diagnosesicherung. Ist der beratende Arzt in dem Verwaltungsvorgang bereits tätig geworden, so kann er in derselben Sache nicht als Gutachter beauftragt werden.
Diese Kriterien geben Anhaltspunkte für die Entscheidung der Unfallversicherungsträger in Fällen, die in der
Vergangenheit oftmals zu Schwierigkeiten geführt haben.
Die Berufsgenossenschaften haben grundsätzlich ein positives Signal gegeben, künftig im wesentlichen diese Kriterien bei der Einschaltung eines beratenden Arztes
zugrunde zulegen. In den nächsten Jahren werde ich verstärkt kontrollieren, ob dies im Hinblick auf § 200 Abs. 2
SGB VII zu einer Verbesserung der datenschutzrechtlichen Positionen der Versicherten führt.
23.1.1 BK-Report des HVBG zu der neuen Berufskrankheit Nr. 1317
Die Berufskrankheit Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren
Gemische) ist seit dem 1.12.1997 in die Berufskrankheiten-Verordnung aufgenommen worden. Im Frühjahr 1999
gab der HVBG in einem BK-Report zu dieser Berufskrankheit auch Empfehlungen zur Sachbearbeitung. Gegen diese Bearbeitungshinweise habe ich im Hinblick auf
die §§ 199 Abs. 3 und 200 Abs. 2 SGB VII datenschutzrechtliche Bedenken.
Nach den Empfehlungen des BK-Reports wird zum einen
das in § 199 Abs. 3 SGB VII geregelte abgestufte Feststellungsverfahren unterlaufen, da Auskünfte zu den Gesundheitsdaten des Betroffenen von Ärzten, Krankenkas-

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