Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

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Drucksache 18/12850

nicht“7769 die Anweisung des Kanzleramts in den BND, die Einsteuerung solcher Selektoren sofort zu stoppen. Nicht zuletzt auch daraus folgt, dass nicht ausreichend zulässige Anlässe für solche Überwachung bestanden. Es handelte sich um anlasslose Massenüberwachung. Die Einsteuerung solcher BND-Selektoren
wurde ab Frühjahr 2014 trotzdem für Teilbereiche wieder aufgenommen.
5.

Inhalt und Auswirkungen anlassloser massenhafter Überwachung

Der Untersuchungsauftrag enthält weder den Begriff Massenüberwachung noch die Formulierung anlasslos.
Der Begriff anlasslose Massenüberwachung wurde insbesondere durch die Enthüllungen Edward J. Snowdens geprägt, als in deren Folge das tatsächliche Ausmaß weltweiter Überwachung durch die Nachrichtendienste der Five Eyes deutlich wurde: Über Jahre und unter Umgehung der Öffentlichkeit und teilweise auch
der Parlamente haben Geheimdienste in unterschiedlich intensiver Kooperation und Zusammenarbeit eine
gigantische digitale Überwachungsinfrastruktur errichtet. Frei nach den NSA-Zielen „Collect it All“, „Process it All“, „Sniff it All“, „Partner it All“, „Exploit it All“ und „Know it All”7770 betreiben sie hunderte
zusammenwirkende Programme, mit dem Ziel, jederzeit auf sämtliche verfügbaren Daten jedes Einzelnen
weltweit zugreifen zu können. Diese besondere Qualität der Überwachungsinfrastruktur, insbesondere die
Quantität und Intensität flächendeckender nachrichtendienstlicher Telekommunikationsüberwachung, findet
ihren Ausdruck im Begriff Massenüberwachung. Wurde zunächst die US-Debatte umfänglich unter diesem
Oberbegriff Mass Surveillance geführt,7771 so hat er unlängst auch in die bundesdeutsche Auseinandersetzung
über geheimdienstliche Überwachung Einzug gehalten. Hier gilt er bislang nicht als feststehender Rechtsbegriff, sondern dient vielmehr als Bezugs- und Ausgangspunkt elementarer grundrechtlicher Kernfragen. Die
verfassungsrechtliche Beschäftigung reicht dabei bereits lange zurück.7772 Die Bedeutung erwächst heute
insbesondere mit Blick auf die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses, die die Vermutung stützen, dass
der BND nicht nur Teil der weltweiten geheimdienstlichen Kooperationen ist, sondern bereits unter Mithilfe
der NSA eine vergleichbare Überwachungsinfrastruktur unter bundesdeutscher Führung errichtet hat. Die
Menschen in der Bundesrepublik sind somit längst nicht mehr nur massenhaft von Maßnahmen der Five Eyes
betroffen, sondern erfahren auch Grundrechtsverletzungen durch anlasslose, massenhafte Überwachungen
durch die deutschen Nachrichtendienste.7773
a)

Die Überwachung ist massenhaft

Massenüberwachung folgt dem Ziel der Ermöglichung vollständiger geheimdienstlicher Erfassung und Auswertung von Telekommunikation und Internetverkehr weltweit. Sie wird durch die Struktur und Funktions-

7769)
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Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel vor der Sitzung des Europäischen Rates am 24. Oktober 2013, https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/10/2013-10-24-merkel-er.html, abgerufen am 15.
Juni 2017.
Glenn Greenwald, No Place To Hide, S. 97, NSA-Folie „New Collection Posture”; David Cole, ‘No Place to Hide’ by Glenn
Greenwald, on the NSA’s sweeping efforts to ‘Know it All’, The Washington Post vom 12. Mai 2014 https://www.washingtonpost.com/opinions/no-place-to-hide-by-glenn-greenwald-on-the-nsas-sweeping-efforts-to-know-it-all/2014/05/12/dfa45dee-d62811e3-8a78-8fe50322a72c_story.html, abgerufen am 12. Juni 2017.
Margaret Hu, Taxonomy of the Snowden Disclosures, S. 1681 f., 72 Wash. & Lee L. Rev. 1679 (2015), http://scholarlycommons.law.wlu.edu/wlulr/vol72/iss4/4, abgerufen am 12. Juni 2017.
BVerfGE 65, 1-71, Rn. 176 (Volkszählungsurteil), abrufbar unter https://openjur.de/u/268440.html.
Vgl. insbesondere Kapitel V.9 – Datenübermittlungen des BND an die NSA aus Bad Aibling.

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