Drucksache 17/5200

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entspricht. Bei Redaktionsschluss dauerten die Beratungen an.
7.1.7

Polizeiliche Ermittlungen
in sozialen Netzwerken

Ermittlungen im Internet haben breiten Einzug in die polizeiliche Arbeit gefunden (vgl. 18. TB Nr. 11.8; 21. TB
Nr. 5.1.3). Dabei wird zunehmend auch in sozialen Netzwerken recherchiert.
Auch das BKA nutzt soziale Netzwerke (vgl. o. Nr. 4.5)
und andere open sources für Abklärungen im Rahmen
von Ermittlungsverfahren und zur Erfüllung seiner Zentralstellenaufgabe gem. § 2 BKA-Gesetz. Zweck sei es,
die Begehung konkreter Straftaten zu erkennen und diese
den sachlich und örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Unter Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 zur sog.
Online-Durchsuchung (BVerfG 1 BvR 370/07 – vgl. auch
22. TB Nr. 4.1.1) hebt das BKA hervor, die reine Internetaufklärung stelle in aller Regel keinen Grundrechtseingriff dar. Sollten derartige Recherchen in sozialen Netzwerken in einzelnen Fällen Eingriffsqualität haben,
würden als Befugnisnormen §§ 161, 163 StPO oder § 7
Absatz 1 und 2 BKA-Gesetz greifen.
Hier stellt sich dieselbe Problematik wie bei der Tätigkeit
der am Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) beteiligten
Behörden (vgl. o. Nr. 4.9). Maßgebend ist, in welchem
Stadium der polizeilichen Internet-Recherche das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen in die Identität seines
Kommunikationspartners ausgenutzt wird. Unbeschadet
dessen liegt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) ein Eingriff in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung immer dann vor,
wenn die im Internet erhobenen Daten gezielt zusammengetragen, gespeichert und ausgewertet werden. Dies ist
der Fall, wenn das BKA im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder zu Auswertezwecken im Rahmen seiner Zentralstellenaufgabe in sozialen Netzwerken
recherchiert.
Ich habe Zweifel, inwieweit die vom BKA angeführten
Rechtsnormen den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht bei Ermittlungen in sozialen Netzwerken legitimieren können. Nach dem Volkszählungsurteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983
bedürfen Einschränkungen dieses Grundrechts einer normenklaren gesetzlichen Grundlage, die Voraussetzung
und Umfang der Beschränkungen klar und für den Betroffenen erkennbar regelt. Die generalklauselartigen Befugnisnormen der §§ 161, 163 StPO bzw. § 7 Absatz 1 und 2
BKA-Gesetz erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Auch
im Hinblick auf die nicht nur von mir empfundene
Rechtsunsicherheit, in welchem Stadium der polizeilichen Recherchen im Internet von einem Eingriff in
Grundrechte auszugehen ist, halte ich es für geboten, Inhalt und Grenzen derartiger Befugnisse spezialgesetzlich
zu regeln.

BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010

7.2

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Bundeskriminalamt

Schwerpunkte meiner Tätigkeit im Berichtszeitraum waren die Begleitung der Arbeiten an der Rechtsverordnung
gem. § 7 Absatz 6 BKAG (vgl. u. Nr. 7.2.1), die datenschutzrechtliche Prüfung der Datenverarbeitung durch
das BKA in den Staatsschutzdateien (vgl. u. Nr. 7.2.2) sowie deren Beteiligung an Zuverlässigkeitsüberprüfungen
im Rahmen von Akkreditierungen bei Großveranstaltungen (vgl. u. Nr. 7.2.3).
7.2.1

Mit viel Verspätung: eine Rechtsverordnung über die Arten von Daten, die das
BKA als Zentralstelle speichern darf

Das BMI hat im vergangenen Sommer einen abschließenden Katalog von Datenarten festgelegt, die das BKA in
seiner Funktion als Zentralstelle speichern darf. Damit
kommt das BMI einer von mir seit Langem erhobenen
Forderung nach – allerdings nur nach gerichtlichem
Druck.
In meinen letzten Tätigkeitsberichten hieß es wiederholt:
„Noch immer keine Rechtsverordnung gemäß § 7 Absatz 6
BKAG“ (vgl. 22. TB Nr. 4.3.2.3). Dies hat sich nun geändert: Seit dem 9. Juni 2010 ist die „Verordnung über die
Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen“ in Kraft, die
nun abschließend regelt, welche Arten von Daten das
BKA in seiner Funktion als Zentralstelle in Dateien speichern darf (BGBl. I S. 716). Zu diesem Katalog gehören
weniger kritische Datenarten wie Name oder Geburtsort,
aber auch sensiblere Angaben, wie etwa Religionszugehörigkeit, Kontoverbindung, Bestand in der DNA-Analyse-Datei oder ein Hinweis wie „Straftäter links motiviert“.
Den Erlass einer solchen Rechtsverordnung habe ich
schon seit Jahren gefordert; zuletzt in einer gemeinsamen
Entschließung der 77. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 26./27. März 2009
(vgl. Kasten zu Nr. 7.2.1). Das BKAG enthält nämlich eine
Pflicht zum Erlass einer solchen Verordnung – und das aus
gutem Grund: Nur so bestimmt auch der Bundesrat mit,
welche Daten das BKA als Zentralstelle speichern darf.
Und nur so entsteht die gebotene Transparenz.
Nachdem sich das BMI diesen Argumenten jahrelang verschlossen hatte, zwang es ein Urteil des OVG Lüneburg,
seine Position zu überdenken. Das niedersächsische OVG
hatte nämlich die Speicherung von Daten in der gemeinsam von Bund und Ländern geführten Datei „Gewalttäter
Sport“ – also der sogenannten „Hooligan“-Datei – aufgrund der fehlenden Rechtsverordnung für rechtswidrig
erklärt (Urteil vom 16. Dezember 2008, 11 LC 228/08).
Damit stand allerdings zugleich ein großer Teil der Datenverarbeitung im BKA mit auf dem Spiel. Denn wenn eine
Rechtsgrundlage nach § 7 Absatz 6 BKAG konstitutiv ist,
wie das OVG befand, gilt dies auch für alle anderen Dateien, die das BKA als Zentralstelle führt. Ohne Rechtsverordnung waren diese sämtlich in Gefahr, rechtswidrig zu
sein.

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