Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Aufgrund der Eingriffsintensität der Regelungen und Verfahren im Bereich der Sicherheitsbehörden halte ich eine
systematische, ergebnisoffene und wissenschaftlich fundierte Überprüfung auf der Grundlage eines umfassenden
Bewertungsansatzes für unabdingbar. Eine Evaluierung ist
erst dann aussagekräftig, wenn diese durch eine unabhängige Stelle nach wissenschaftlichen Methoden durchgeführt wird. Sie darf nicht interessengeleitet erfolgen, weshalb eine rein (regierungs-)interne Evaluation ausscheidet.
Eine interne Durchführung würde auch den gesetzlichen
Anforderungen nicht genügen, da die bisherigen Regelungen die „Einbeziehung“ eines wissenschaftlichen Sachverständigen einfordern. Ebenfalls nicht ausreichend wäre
es, wenn die Ressorts nur eine externe „Methodenberatung“ einholen oder den Evaluierungsmaßstab selbst festgelegen würden.
Die Auswirkungen auf die Betroffenen bzw. auf die
Grundrechte sollte Kernbestandteil jeder Evaluierung
sein. Dies erfordert eine umfassende rechtliche und verfassungsrechtliche Überprüfung auf Basis einer vollumfänglichen rechtstatsächlichen Analyse. Die Verhältnismäßigkeit der zu evaluierenden Sicherheitsgesetze ist dabei
vollständig auf den Prüfstand zu stellen. Dabei muss
gründlich untersucht werden, ob die tatsächlich erreichten
Auswirkungen über das definierte Ziel hinausgehen und
welche Wirkungen sie für die Betroffenen in der Lebenswirklichkeit hatten. Im Sinne einer Gesamtbetrachtung ist
in den Blick zu nehmen, wie tief und mit welcher Streubreite die zu evaluierenden Befugnisse – auch im Zusammenwirken mit anderen Befugnissen – in die Privatsphäre
der Menschen eindringen.
Völlig unzureichend wäre es hingegen, den Schwerpunkt
einer Evaluierung nur auf den Bereich der Zweckerreichung im praktischen Vollzug zu legen, ohne dass rechtliche Wertungen auch hinsichtlich der Auswirkungen auf
die Betroffenen nachvollzogen werden. Auch eine Beschränkung auf formale Gesichtspunkte des Trennungsgebotes würde dessen grundrechtliche Bedeutung außerachtlassen, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich
hervorgehoben hat.
Ich halte es für geboten, diese Aspekte im Rahmen der
anstehenden Evaluierungen zu berücksichtigen und habe
die Bundesregierung hierauf auch mehrfach hingewiesen.
Auch die 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten hat
in einer Entschließung eine umfassende wissenschaftliche
Evaluierung im Sicherheitsbereich gefordert (vgl. Kasten
zu Nr. 7.1.1).
Weil einerseits die Evaluierung von Gesetzen zunehmend
an Bedeutung gewinnt, andererseits aber z. T. erhebliche
Unsicherheiten bzw. Meinungsdivergenzen zu Inhalten
und Verfahren bestehen, habe ich dem Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer einen
Forschungsauftrag zu der Thematik erteilt. Ich hoffe, dass
damit die Gesetzesevaluierung auf eine bessere, d. h. wissenschaftliche Grundlage gestellt werden kann, dem
Gesetzgeber im Hinblick auf zukünftige Evaluierungsvorhaben verfassungsrechtlich gebotene Inhalte bzw. Konkretisierungen vermittelt werden und dies zu einer Vereinheitlichung der Evaluierung von Gesetzen beiträgt (vgl.
auch Nr. 14.6).

Drucksache 17/5200
K a s t e n zu Nr. 7.1.1

Entschließung der 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 17./18. März 2010
Für eine umfassende wissenschaftliche Evaluierung
im Sicherheitsbereich
Die Bundesregierung beabsichtigt, nicht nur die in den
vergangenen Jahren durch zahlreiche Gesetze neu geschaffenen Befugnisse und die bestehenden Sicherheitsdateien, sondern auch die Kooperationszentren, in denen Polizei und Nachrichtendienste zusammenarbeiten,
zu evaluieren.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
treten dafür ein, die Evaluierung zeitnah und vorbehaltlos nach wissenschaftlichen Kriterien durchzuführen.
Kein Vorbild darf die im Mai 2005 vorgenommene „Evaluierung“ des Terrorismusbekämpfungsgesetzes 2002
sein. Diese war eine inhaltlich und methodisch defizitäre
Selbsteinschätzung. Dagegen enthalten die in verschiedenen Gesetzen aufgenommenen Evaluationsklauseln
sinnvolle Ansätze, die es weiter zu entwickeln gilt. Dies
betrifft etwa die Einbeziehung eines wissenschaftlichen
Sachverständigen, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag zu bestellen ist.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder hat wiederholt darauf hingewiesen, dass
die Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz, auch in das Vorfeld der Gefahrenabwehr,
zur anlasslosen, oftmals massenhaften Erhebung personenbezogener Daten unbescholtener Bürgerinnen und
Bürger führen kann.
Aufgrund der Eingriffsintensität der Regelungen ist eine
systematische, ergebnisoffene und wissenschaftlich fundierte Überprüfung auf der Grundlage eines umfassenden Bewertungsansatzes erforderlich. Jede Evaluation,
auch die landesrechtlicher Vorschriften, muss auf der
Grundlage valider, strukturierter Daten unter Mitwirkung aller relevanten Stellen in einem transparenten
Verfahren durch ein unabhängiges Expertengremium erfolgen. Die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit
der Evaluierung ist zu gewährleisten. Der Evaluationsbericht muss dem Gesetzgeber eine umfassende Bewertungsgrundlage zur Optimierung bestehender Regelungen zur Verfügung stellen.
7.1.2

Kontrolle der Anti-Terror-Datei bei den
Nachrichtendiensten des Bundes

Die Datenverarbeitung durch BfV in der Anti-Terror-Datei weist erhebliche Mängel auf.
Nachdem ich die Datenverarbeitung durch das BKA in
der Anti-Terror-Datei überprüft hatte (vgl. 22. TB Nr.
4.2.2.2), bildete diesmal die Kontrolle der entsprechenden
Datenverarbeitung durch BfV und BND einen Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Dabei habe ich zum Teil erhebliche Mängel festgestellt:

BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010

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