Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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haber keine Auskunft. Das kann passieren, denn die Anbieter haben die Nutzungsdaten nach Beendigung der Inanspruchnahme unverzüglich zu löschen und dürfen
deshalb auch die Zugangsdaten nur kurze Zeit (höchstens
sieben Tage) aufbewahren, soweit dies für Abrechnungszwecke, zur Störungseingrenzung und zur Aufklärung von
Missbrauchsfällen erforderlich ist.
Der Frage, ob der in Anspruch genommene Bürger tatsächlich widerrechtlich ein urheberrechtlich geschütztes
Werk aus dem Internet heruntergeladen hat, kann meine
Dienststelle nicht nachgehen. Hierfür steht der Zivilrechtsweg offen.
Unabhängig von der dargestellten Rechtslage stellt sich
jedoch die Frage, ob die Praxis von spezialisierten Unternehmen und Kanzleien, massenweise IP-Adressen von
Tauschbörsennutzern zu speichern und auszuwerten, mit
den Grundsätzen der Datensparsamkeit und Transparenz
vereinbar ist. Auch die formularmäßigen und bisweilen
nicht spezifizierten Auskunftsersuchen verursachen einen
schalen Beigeschmack.
Sehr kritisch stehe ich auch Forderungen gegenüber, auf
Grund gesetzlicher Vorgaben zu Zwecken der Aufklärung
schwerer Straftaten auf Vorrat gespeicherte Daten (vgl.
Nr. 6.1) auch zur Bekämpfung von Urheberrechtsverstößen zu verwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat derartigen Ansinnen glücklicherweise einen Riegel vorgeschoben.
4.9
Das Gemeinsame Internetzentrum
der Sicherheitsbehörden
Die Tätigkeit des Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ)
greift in das Recht der Betroffenen auf informationelle
Selbstbestimmung ein.
Beim GIZ handelt es sich um ein Kooperationsforum, in
dem die beteiligten Behörden – Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst,
Militärischer Abschirmdienst und Generalbundesanwalt –
ihre fachlichen, sprachlichen und technischen Kompetenzen bündeln, um im Internet nach Informationen zu suchen, die auf extremistische und terroristische Aktivitäten
hinweisen.
Die beteiligten Behörden beobachten zu diesem Zweck
insbesondere islamistische Websites, einschlägige Newsgroups, Foren und Chatrooms und werten deren Informationsgehalt aus. Die so gewonnenen Informationen werden in einem periodischen oder anlassbezogenen Bericht
(dem sog. GIZ-LOG) zusammengefasst und den Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt. In seiner Rede zur
Vorstellung des GIZ im Oktober 2007 erklärte der damalige Bundesminister des Innern, dass das GIZ ausschließlich das offene, jedem zugängliche Internet überwache
und somit eine Aufgabe wahrnehme, für die keine besonderen Hoheitsbefugnisse erforderlich seien.
Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, stellt sich
bei genauerer Betrachtung unstimmig dar. Ich bin im
Dezember 2009 im Rahmen eines Beratungs- und Kontrollbesuchs im GIZ der Frage nachgegangen, ob durch
Drucksache 17/5200
die Aktivitäten dieses Forums in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Betroffenen eingegriffen
wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
27. Februar 2008 zur sog. Online-Durchsuchung (BVerfG
1 BvR 370/07 – vgl. auch 22. TB Nr. 4.1.1) festgestellt,
die Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher Informationen
sei dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt. Das gelte auch,
wenn im Einzelfall personenbezogene Informationen erhoben werden können, beispielsweise bei der Teilnahme
an Chats und Diskussionsforen unter Pseudonym, solange
die Behörde hierbei kein schutzwürdiges Vertrauen des
Betroffenen in die Identität und Motivation seines Kommunikationspartners ausnutze. Dies bedeutet: Wenn sich
eine Sicherheitsbehörde in Chats oder Foren bewegt, in
denen es ausreicht, einen fiktiven Namen und ein Passwort
zur Anmeldung zu wählen, um teilzunehmen, ist das
schutzwürdige Interesse des Betroffenen nicht berührt.
Wenn ein Hoheitsträger im Rahmen der Anmeldung zu einem Chat oder einem Diskussionsforum fingierte, detaillierte personenbezogene Angaben z. B. zu Name, Adresse,
Telefonnummer, E-Mail-Adresse etc. macht, die seine Zugehörigkeit zu einer Behörde verschleiern, wird schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch genommen. Meines Erachtens wird auch durch die aktive Teilnahme an Chats
und Foren das schutzwürdige Interesse des Kommunikationspartners ausgenutzt. Da es in verschiedenen Kommunikationsplattformen erforderlich ist, die Mitgliedschaft
durch eigene Beiträge aktiv zu halten, müsste eine Behörde zur Aufrechterhaltung des Zugangs eigene Beiträge
einstellen. Damit könnte sie, wenn sie etwa Fragen eines
anderen Forumsteilnehmers beantwortet, den Eindruck einer aktiven Unterstützung der Gemeinschaft erwecken.
Zwar mag es im Einzelfall schwer sein festzustellen, ab
welchem Stadium der Internet-Recherche durch eine Behörde das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen in die
Integrität des Kommunikationspartners ausgenutzt wird.
Nach der o. g. verfassungsgerichtlichen Rechtssprechung
ist aber jedenfalls immer dann von einem Eingriff in das
informationelle Selbstbestimmungsrecht auszugehen, wenn
die dabei erhobenen Daten gezielt zusammentragen, gespeichert und unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden. Gerade dies ist Aufgabe und Ziel des GIZ.
Die Tätigkeit der an ihm beteiligten Sicherheitsbehörden
bedarf daher einer Rechtsgrundlage (vgl. a. Nr. 7.1.7).
4.10
Veröffentlichung von Wahlvorschlägen im Internet
Die Veröffentlichung von Wahlbewerbern im Internet bedarf einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage.
Ein Petent, der als Kandidat an der Europawahl 2009 teilgenommen hatte, beschwerte sich darüber, dass der Bundeswahlleiter auf seiner Internetseite personenbezogene
Angaben zu den Kandidaten ohne eine Rechtsgrundlage
oder eine entsprechende Einwilligung veröffentlicht habe.
Nach Prüfung bin ich zu der Bewertung gekommen, dass
für derartige Internetveröffentlichungen eine ausdrückli-
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010