Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– 15 –
Drucksache 17/5200
Einführung
Das Interesse an datenschutzrechtlichen Themen nimmt weiter zu, was sich nicht allein an der vielfältigen Berichterstattung der Medien festmachen lässt, sondern auch
an den weiterhin zunehmenden Zahlen der Beschwerden und Fragen von Bürgerinnen und Bürgern, die mich erreichen. So trafen im Jahr 2010 fast dreimal so viele
Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern bei meiner Dienststelle ein als fünf Jahre zuvor.
Dies signalisiert einerseits, dass die objektiven Herausforderungen an den Datenschutz weiter zugenommen haben. Zugleich zeigt sich aber, dass den Menschen die
Wahrung ihrer Privatsphäre wichtig ist.
Besonders deutlich wurde das wachsende Interesse in der Diskussion über Google
Street View. Überraschend viele Menschen legten Widerspruch gegen die Veröffentlichung von Bildern ihrer Häuser und Grundstücke ein, ehe der Dienst überhaupt seinen Betrieb aufgenommen hatte. Aber auch die Debatte über staatliche Eingriffe in
den Datenschutz setzt sich fort – etwa über die Vorratsdatenspeicherung, über den
Zugriff von US-Behörden auf europäische Finanzdaten oder über den Einsatz von
„Körperscannern“ an Flughäfen.
Innovationen, die in den letzten zehn Jahren auf verschiedenen Feldern entwickelt
wurden – Ortungssysteme, Internet, digitale Videotechnik, Mustererkennung, RFID –
werden kombiniert und finden in rasender Geschwindigkeit Eingang in den Alltag von
immer mehr Menschen. Alte Geschäftsmodelle erfahren einen elektronischen Qualitätssprung, etwa die gezielte Vermarktung von Produkten. Neue Dienste entstehen und
werden millionenfach genutzt, etwa die sozialen Netzwerke im Internet, die längst ihren Sprung aus einem universitären Umfeld in den beruflichen und privaten Alltag geschafft haben. „Smarte“ Technologien, etwa zur Messung und Steuerung der Energieversorgung, werden eingeführt und es ist noch nicht entschieden, ob dies letztlich zu
mehr individueller Freiheit oder zu mehr Überwachung führt.Wie ambivalent die
neuen Techniken sind, wird weltweit auch an der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel und sozialer Netzwerke in den politischen Debatten und Auseinandersetzungen deutlich: Zum einen gestatten sie eine leichte Kontaktaufnahme, freie Diskussionen und Verabredungen. Zum anderen werden sie von autoritären Regierungen
zur Kontrolle und Verfolgung der Teilnehmenden genutzt. Die Möglichkeit zur Veröffentlichung riesiger Datenmengen im Internet per Mausklick (etwa durch WikiLeaks) kann für mehr Transparenz sorgen. Sie kann aber auch dazu führen, dass sensibelste – auch persönliche – Daten in Umlauf geraten und kaum noch rückholbar sind.
Nutzen und Risiken treten hier in besonderer Weise zu Tage.Wenn man bedenkt, dass
das derzeitige Datenschutzrecht in der „offline-Welt“ des 20. Jahrhunderts entstand
und in seinen Grundzügen bereits vor 30 Jahren formuliert wurde, kann es nicht verwundern, dass es den technologischen Herausforderungen nicht mehr angemessen
Rechnung trägt. Aus diesem Grund haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder unter meiner Federführung „Eckpunkte für ein modernes Datenschutzrecht im 21. Jahrhundert“ formuliert, die hoffentlich bei der überfälligen Modernisierung des Datenschutzrechts berücksichtigt werden. Ein herausragendes Ereignis dieser Berichtsperiode war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Vorratsdatenspeicherung. Mit erfreulich deutlichen Worten hat das Gericht klargestellt, dass eine totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger mit der verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar wäre. Auch
wenn das Gericht nicht jegliche Vorratsdatenspeicherung a priori als unzulässig bewertet, hat es doch das vom Bundestag in der 16. Legislaturperiode beschlossene Gesetz für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Ob die Vorratsdatenspeicherung erneut
in Deutschland eingeführt wird, hängt nicht zuletzt von Entwicklungen auf europäischer Ebene ab, insbesondere vom Ergebnis der Überprüfung der entsprechenden
EG-Richtlinie. Überhaupt sind den Möglichkeiten, den Datenschutz durch nationales
Recht effektiv zu gewährleisten, immer engere Grenzen gesetzt. Der zunehmende internationale Datenverkehr, die ständige Verfügbarkeit des Internets und die rasante
Verbreitung „intelligenter“ mobiler Endgeräte unterstreichen die Notwendigkeit, auf
internationaler Ebene zu akzeptierten Standards für die Sicherung der Privatsphäre zu
gelangen. Dabei kommt der Weiterentwicklung des EU-Rechtsrahmens für den Datenschutz große Bedeutung zu. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist der
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010