punkt des Mörders positioniert. Wir haben die von ARES
produzierte Aufnahme der Schüsse abgespielt, sowohl
im lebensgroßen Tatortmodell als auch in der Computersimulation. Wir haben dabei einen Tonpegel von 105 dBA
gewählt, also etwa 25 dBA niedriger als die tatsächlichen
Schüsse. Dem lag die Annahme zugrunde, dass aus der
Hörbarkeit eines Schussgeräusches mit einem Tonpegel von 105 dBA auch auf die Hörbarkeit eines lauteren
Schussgeräusches geschlossen werden kann.
3c. Geruch
Wird in einem Innenraum ein Schuss abgegeben, dann
hinterlässt das Schießpulver einen beißenden Schmauchgeruch. Als Andreas Temme 2012 vom BKA befragt wurde,
hat er bestätigt, dass er mit dem Umgang mit Waffen
vertraut sei und Schmauchgeruch als solchen erkenne. Er
hat jedoch ausgesagt, keinen solchen Geruch wahrgenommen zu haben, als er sich vom Hinterzimmer des InternetCafés durch das Vorderzimmer nach draußen begab.
Forensic Achitecture arbeitet mit einem Spezialisten für
Fluiddynamik, Dr. Salvador Navarro-Martinez, Hauptdozent am Imperial College, zusammen, um die räumliche
und zeitliche Streuung und Ausbreitung der durch die
Schüsse freigesetzten chemischen Bestandteile zu
bestimmen.
Wir haben Rauchabzuggeräte verwendet, um die Verteilung und Latenz des Geruchs im Raum zu ermitteln, dabei von Mengen ausgehend, die auf einer von Dr. Navarro-Martinez vorgenommenen Berechnung des Volumens
der von solchen Schüssen produzierten Gase beruhen.
Außerdem setzen wir digitale und analoge Simulationen
ein, um die Fluiddynamik von »Geruchswolken« in Raum
und Zeit abzubilden. Die Befunde dieser Tests werden
anhand einer digitalen Simulation geprüft, die die Teilchenkonzentration und damit auch die Wahrnehmbarkeit
des Schmauchgeruchs abbildet. Darüber hinaus messen
wir Latenz und Potenz des Geruchs im Verhältnis zu dem
aus den Zeugenaussagen und der polizeilichen Nachstellung sich ergebenden zeitlichen Ablauf.
4. Vorläufige Ergebnisse
4a. Sicht
Aus der Rekonstruktion von Andreas Temmes mobilem
Sichtfeld geht hervor, dass die Leiche von Halit Yozgat
für Andreas Temme zu dem Zeitpunkt, da dieser Halt
machte, um Geld auf dem Empfangstisch abzulegen,
sichtbar gewesen sein muss.
4b. Schall
Im lebensgroßen Modell lag der maximale Schallpegel
der Schüsse an ATs Sitzplatz, der Position »PC-2«, bei 86
dBA, d. h. etwa 40 dBA über den Umgebungsgeräuschen
im Raum, womit die Schüsse hörbar gewesen sein müssen. Ein Schallpegel von 86 dB entspricht dem Geräusch
eines Frachtzuges in 15 Metern Entfernung. Ein solches
Geräusch müsste bei Umgebungsgeräuschen um 40
dBA (typisch für Wohnzimmer, Bibliotheken oder kleine
62
Bäche) deutlich hörbar sein.
Um sicherzustellen, dass etwaige im physischen Modell
gegebenen Schallwege sich nicht ernsthaft auf die Messergebnisse auswirken, und um also unseren Befund zu
bestätigen, entwickeln wir zurzeit eine Computersimulation, die mit digitalen »Raytracing«-Verfahren arbeitet.
Da es im Internet-Café einen offenen Schallweg gab (der
offene Durchgang zwischen den beiden Zimmern) lässt
sich sagen, dass der Schuss von Andreas Temmes Position aus hörbar gewesen sein muss. (...) Der Schuss muss
deutlich hörbar gewesen sein.
4c. Geruch
Die Ergebnisse des olfaktorischen Experiments stehen
noch aus.«
Die Fraktion DIE LINKE bedauert, dass es im Rahmen der
Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses der
18. Wahlperiode nicht möglich war, Andreas Temme zu
befragen und mit den Widersprüchen zwischen seinen
eigenen Aussagen im Untersuchungsausschuss der 17.
Wahlperiode und den vorläufigen Ergebnissen des Gutachtens von Forensic Architecture zu konfrontieren.
5. Mögliche Verbindungen des NSU-Netzwerkes
in Bayern zu Michael Krause
Im Zusammenhang mit der Frage nach möglichen weiteren Unterstützer*innen und Strukturen der extremen
Rechten in Bayern, verweist die Fraktion DIE LINKE auf
die Notwendigkeit weiterer parlamentarischer Aufklärung in Bezug auf den am 27. Mai 2008 im Rahmen einer
Personenkontrolle in Bayreuth bei einem Schusswechsel mit Polizeibeamten verstorbenen Michael Krause.
Nach Anhalterufen eines Beamten zog Krause eine
Waffe und verletzte einen Polizisten bevor er sich durch
einen Schuss in den Kopf selbst tötete. Bei Krause werden eine Česká 7,65 mm, eine Česká 6,35 mm und eine
Walter PPK sichergestellt. Die Walter PPK stammte aus
einem Einbruch in eine Bundeswehrkaserne in Itzehoe
im Jahr 1985, bei dem auch weitere Waffen entwendet
wurden. Unweit des Tatorts des Schusswechsels befindet sich ebenfalls eine Bundeswehrkaserne. Bei der
Durchsuchung werden u.a. NATO- und Bundewehrbekleidungsstücke aufgefunden.
Am 24.September 2009 wird Krause als Spur bei der
BAO Bosporus angelegt mit dem Vermerk: »Krause
würde hervorragend in unser Einzeltäterprofil« passen.
Zuvor war Krauses DNA in die Hauptspurenliste der
BAO Bosporus eingepflegt worden, da sich eine Übereinstimmung mit einer DNA-Spur auf dem Unterhemd
von Enver Simsek ergeben hatte.188
Bei Krause wurden u.a. 38 handschriftliche Skizzen,
deren Ortsangaben mit einem Zahlencode verschlüsselt
waren, gefunden. Die Inhaltsangaben zu den Depots
waren nicht verschlüsselt und trugen Bezeichnungen
188
MAT A BMJ-13, Ordner 2, S.22