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Anlage 18 (zu Nr. 2.1)
Entschließung der 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
vom 24. bis 26. Oktober 2001:
Freiheits- und Persönlichkeitsrechte dürfen bei der Terrorismusbekämpfung nicht verloren gehen

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder stellt fest, dass zahlreiche Vorschläge in der
gegenwärtigen Debatte um notwendige Konsequenzen aus
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die erforderliche sachliche und verantwortungsbewusste Abwägung mit
den grundgesetzlich geschützten Freiheits- und Persönlichkeitsrechten der Einzelnen vermissen lassen.
Der Entwurf eines Terrorismusbekämpfungsgesetzes und
der Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern und
Hessen im Bundesrat zur wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Extremismus (Bundesratsdrucksache 807/01) übertreffen die in der Entschließung der Konferenz vom 1. Oktober 2001 geäußerte Befürchtung, dass
übereilt Maßnahmen ergriffen werden sollen, die keinen
wirksamen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leisten, aber
die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger unangemessen einschränken.
Gegenwärtig wird ohne Rücksicht auf das grundrechtliche
Übermaßverbot vorgeschlagen, was technisch möglich erscheint, anstatt zu prüfen, was wirklich geeignet und erforderlich ist. Außerdem müsste der Frage nachgegangen werden, ob es nicht in den Geheimdiensten und in der
Strafverfolgung Vollzugsdefizite gibt. Dabei müsste auch
untersucht werden, welche Resultate die vielen Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre gebracht haben.
Persönlichkeitsrechte haben über ihre grundrechtssichernde
Wirkung hinaus – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – auch Bedeutung als „elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner
Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Gemeinwesens“.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder appelliert daher sehr eindringlich an alle Beteiligten, nicht Persönlichkeitsrechte vorschnell und ohne
die gebotene sorgsam abwägende Prüfung über die bereits
bestehenden Eingriffsmöglichkeiten hinaus dauerhaft einzuschränken und so den Ausnahmezustand zur Norm zu erheben.
Alle neu erwogenen Maßnahmen müssen sich daran messen
lassen, ob sie für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Terrorismus wirklich zielführend und erforderlich sind und ob
sie den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Einseitiges Streben nach einer umfassenden Sicherheit darf nicht den bisherigen gesellschaftlichen Konsens
über die wertsetzende Bedeutung bürgerlicher Freiheitsund Persönlichkeitsrechte so überlagern, dass es in unserem
Land zu einer langwirkenden Verschiebung zugunsten staatlicher Überwachung und zulasten freier und unbeobachteter

BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002

Aktion, Bewegung und Kommunikation der Bürgerinnen
und Bürger kommt.
Wesentliche im BMI-Entwurf eines Terrorismusbekämpfungsgesetzes enthaltene Eingriffsmöglichkeiten führen
zwangsläufig dazu, dass eine Vielzahl völlig unbescholtener
Einzelpersonen zentral erfasst oder verdeckt in Datenerhebungen einbezogen werden, ohne dass eine konkrete Verdachts- oder Gefahrenlage verlangt wird. Zugleich werden
Auskunftspflichten und Ermittlungskompetenzen in einer
Weise ausgedehnt, dass Eingrenzungen verloren gehen, die
aus rechtsstaatlichen Gründen unverzichtbar sind.
Der Verfassungsschutz soll künftig zur Erfüllung aller seiner Aufgaben von den Banken die Kontenbewegungen, von
den Luftverkehrsunternehmen alle Reisedaten und von den
Post- und Telekommunikationsunternehmen alle Informationen darüber erhalten können, wer von wem Post erhalten
und wann mit wem telefoniert hat. All dies soll ohne Wissen
der Betroffenen erfolgen und bis zu 15 Jahren gespeichert
werden.
Die geplante Befugnis des BKA, Vorermittlungen ohne Anfangsverdacht im Sinne der StPO zu ergreifen, führt zu Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht, die weit über das verfassungsrechtlich Zulässige hinausreichen und das tradierte
System der Strafverfolgung sprengen. Dies verschiebt die
bisher klaren Grenzen zwischen BKA und Verfassungsschutz sowie zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Ohne jeden Anfangsverdacht soll das BKA künftig
Daten über nicht näher eingegrenzte Personenkreise erheben dürfen. Dies kann im Prinzip jede Bürgerin und jeden
Bürger betreffen, ohne dass sie sich auf die Schutzmechanismen der Strafprozessordnung verlassen können.
Auch die Vorschläge der Länder enthalten unvertretbare
Einschränkungen von grundgesetzlich geschützten Rechtspositionen. So soll die Gefahrenschwelle für den verdeckten
Einsatz technischer Mittel in Wohnungen übermäßig abgesenkt werden. Telekommunikationsunternehmen und Internetprovider sollen gesetzlich verpflichtet werden, Verbindungsdaten (zum Beispiel über den Besuch einer Website
oder einer Newsgroup) länger zu speichern, als diese zu Abrechnungszwecken benötigt werden, um sie Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern, dass neue Eingriffsbefugnisse nicht pauschal ausgerichtet, sondern zielgenau auf konkrete Gefährdungssituationen
im terroristischen Bereich zugeschnitten und von vornherein
befristet werden. Eine unabhängige Evaluierung nach festgelegten Fristen ist unerlässlich, um Geeignetheit und Erforderlichkeit für die Zukunft sachgerecht beurteilen zu können.

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