entsprechenden Maßnahmen hohe Anforderungen an deren Ausgestaltung zu stellen sind, um sie im Ergebnis
als angemessen beurteilen zu können. Auch wenn erkennbar versucht worden ist, diesen Maßstäben gerecht zu
werden, reißt das Gesetz mehrfach die von den obersten Gerichten aufgestellten Hürden.
Zum einen missachtet das Gesetz - jedenfalls im Bereich der Überwachung der Internetnutzung - die vom
BVerfG aufgestellte und in wissenschaftlichen Beiträgen als „Überwachungs-Gesamtrechnung“ bezeichnete
Vorgabe, keine anlasslose Datenspeicherungen vorzunehmen, die - auch im Zusammenspiel mit anderen Datenerfassungen - zu einer weitgehenden Rekonstruierbarkeit praktisch aller Aktivitäten der Bürger führen können.
Gerade dies wird jedoch aufgrund des Trends der vergangenen Jahre, die Befugnisse staatlicher Behörden vor
allem bei der Erfassung und Auswertung von IP-Adressen zu erweitern, in immer größerem Rahmen möglich.
Die erhobenen IP-Adressen sind geeignet dazu beizutragen, detaillierte Informationen über die im Internet genutzten Inhalte zu gewinnen. Bei Telemediendiensten erhobene Nutzungsdaten können im Zusammenspiel mit
den im Rahmen der Vorratsspeicherung von Daten erfassten IP-Adressen grundsätzlich einzelnen Nutzern zugeordnet werden. Deren Surfverhalten kann dann zumindest über mehrere Wochen in nicht unerheblichem Maße überwacht werden.
Zum anderen wurde die Vorgabe des EuGH aus dem Eingangs erwähnten Urteil nicht berücksichtigt, nach dem
unter anderem die von der Vorratsspeicherung von Daten betroffenen Personen auf solche beschränkt werden
müssen, die in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sind oder deren auf Vorrat gespeicherte
Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten. Das Gesetz greift daher unverhältnismäßig in die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union
(Charta) garantierten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Artikel 7 und des Schutzes personenbezogener Daten in Artikel 8 ein.
Die Anwendbarkeit der Charta als Maßstab auch für die nationale Gesetzgebung hat der EuGH zudem erst kürzlich noch einmal in einem Urteil zu entsprechenden schwedischen und englischen Gesetzen klargestellt (Urteil
vom 21.12.2016, Az. C-203/15 und C-698/15). In diesem Zusammenhang wiederholte das Gericht zudem unmissverständlich, dass eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Daten sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Telekommunikationsnutzer europarechtswidrig ist. Lediglich eine gezielte Vorratsspeicherung von Daten, die hinsichtlich der Kategorien der zu speichernden Daten, der erfassten elektronischen Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen und der vorgesehenen Dauer der Vorratsspeicherung
auf das absolut Notwendige beschränkt ist, sei zulässig.
Forderungen nach einer erheblichen Ausweitung der in der Vorratsspeicherung von Daten geregelten Speicherpflichten, beispielsweise durch die Miteinbeziehung der bei der Nutzung von E-Mail- und Messengerdiensten
anfallenden Daten sowie nach einer Verlängerung der Speicherfristen würden die Vorratsspeicherung von Daten
auf ein über das im verfassungswidrigen Gesetz von 2010 hinausgehende Maß ausdehnen.
Unabhängig davon bestehen meines Erachtens erhebliche Bedenken, dass das aktuelle Gesetz zur Einführung
einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten den hohen Anforderungen von BVerfG
und EuGH genügt. Die letztliche Entscheidung hierüber wird aber wieder einmal von eben diesen Gerichten
getroffen werden. Eine Prüfung der deutschen Vorratsspeicherung von Daten vor dem EuGH ist aufgrund seiner
Entscheidung zur Anwendbarkeit der Charta jedenfalls nicht unwahrscheinlich. Beim BVerfG wurden bereits
mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz eingereicht.
Ich werde die Verfahren selbstverständlich begleiten und zudem im Rahmen meiner Aufsichtsfunktion über
Unternehmen der Telekommunikationsbranche die Umsetzung unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten in
der Praxis kontrollieren.

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BfDI 26. Tätigkeitsbericht 2015-2016

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