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(A)

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Denken Sie bitte an die Redezeit.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Mit der
fraktionsübergreifenden Einsetzung des Untersuchungsausschusses heute erkennt dieses Parlament an, dass es
ein massives und relevantes Problem mit anlassloser
Massenüberwachung gibt. Das ist ein wichtiger erster
Schritt.

Ganz herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Clemens
Binninger, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Clemens Binninger (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft, in der niemand mehr kommunizieren kann, sich bewegen kann, E-Mails schreiben
kann, ohne dass er damit rechnen muss, dass das gespeichert und überwacht wird, ist nicht mehr frei. In solch
eine Gesellschaft wollen wir nicht.
(B)

(Beifall im ganzen Hause)
Bevor ich zu dem komme, was uns beschäftigt, gestatten Sie mir einen kleinen Rückblick auf eine
Entwicklung, die, glaube ich, ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir heute über eine solche Massenüberwachung sprechen und das aufklären müssen. Sie
hat etwas mit der Technik zu tun. Die Technik hat eine
Entwicklung eingeleitet, der wir als Parlamente nicht mit
der gebotenen Sorgfalt gefolgt sind. Noch vor 15, 20
Jahren fand Datenspeicherung überwiegend bei staatlichen Behörden statt. Es gab auch Privatunternehmen, die
ihre Kundendaten hatten; aber Datenspeicherung hatte
limitierende Faktoren. Die Speicherkapazität war endlich; man konnte nicht alles suchen bzw. recherchieren.
Allein dadurch war vieles an Missbrauch gar nicht möglich. Dann kam eine Entwicklung, die auf der einen Seite
viele Vorteile gebracht hat, die für uns alle bei der Kommunikation von Nutzen war, mit der aber auf der anderen Seite zwei neue Aspekte einhergingen: Der Speicherplatz ist nicht mehr limitierend. Man kann endlos
Daten speichern. Nicht nur staatliche Behörden können
das, auch private Unternehmen, ja sogar einzelne Bürger. Recherchefunktionen stehen mittlerweile jedem zur
Verfügung. Jeder von uns kann den anderen googeln. Ob
er dabei etwas Sinnvolles erfährt, ist eine andere Frage.
Wir alle sind aber mittlerweile gegenseitig recherchierbar.
Die Verhältnisse sind also gewaltig anders als früher.
Zu dieser technischen Entwicklung sind Sicherheitslagen wie der 11. September und anderes mehr gekom-

men, und Nachrichtendienste haben gesagt: Wir (C)
brauchen jetzt viele Informationen. Ich will gleich deutlich machen: Ich bin überhaupt kein Gegner von Nachrichtendiensten. Wir brauchen sie. Wir brauchen auch
die internationale Zusammenarbeit. Wer daran rüttelt, tut
unserer Sicherheit und den Menschen in unserem Land
keinen Gefallen. Dazu darf der Ausschuss nicht herhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Klar ist aber auch – das wird eine Aufgabe des Ausschusses sein –, dass man sich fragen muss: Ist die
Strategie, die sich bei den Amerikanern und den Briten
entwickelt hat, einfach einmal alles auf Verdacht zu sammeln in der Hoffnung, man könne hinterher aus großen
Datenbergen einen Verdacht generieren, den man vorher
vielleicht überhaupt nicht hatte, richtig?
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Nein!)
Sie ist es nicht.
Wir haben in unserem Rechtssystem zu Recht den
personenbezogenen Ansatz gewählt. Der konkrete Verdacht ist notwendig; zum Teil sind richterliche Anordnungen nötig. Deshalb sind wir als deutsches Parlament
gut beraten, mit diesem Ausschuss, wie es alle Kollegen
vor mir – Herr von Notz, Frau Renner, Frau Högl und
Kollege Sensburg – auch gesagt haben, ein Zeichen zu
setzen, dass wir diese Art von Überwachung, massenhaft, ohne Anlass, in jedem Lebensbereich, rundherum
ablehnen, und klarzumachen: Das ist mit unserem (D)
Verständnis von Datenschutz und unserem Verfassungsverständnis nicht vereinbar.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vor einem Jahr kamen dann Begriffe über uns – Herr
Kollege Ströbele, wir gehören ja einem Gremium an, in
dem man das vielleicht vorher schon einmal hätte erfahren können, aber wir haben es nie erfahren; gefragt haben wir natürlich auch nie; das müssen wir selbstkritisch
anerkennen –, die uns allen zunächst nichts gesagt haben: Tempora, XKeyscore, Prism und was auch immer
es noch gibt. Das sind Software- und Hardwaretools, mit
denen es möglich ist, ganze Datenströme ungeachtet ihrer Menge zu überwachen. Unsere Aufgabe wird es jetzt
sein, so konkret es geht, zu ermitteln: Wo wurden sie
eingesetzt? Waren Daten von deutschen Bürgern betroffen? Was ist mit diesen Daten passiert? Wurden sie gespeichert, wurden sie ausgewertet? – Solche Überwachungsinstrumente sind jedenfalls in dieser Form nicht
akzeptabel.
Warum brauchen wir einen Untersuchungsausschuss?
Ich will das an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Dass
Sie, Herr Kollege von Notz, eine andere Auffassung haben und kritisieren, wie wir das Thema im letzten
Sommer gehandhabt haben, ist völlig in Ordnung. Kollege Oppermann und ich haben im Sommer auch noch
andere Auffassungen zu diesem Thema gehabt; jetzt haben wir in etwa die gleiche. So ändern sich die Zeiten.

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