Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
1881
Christina Kampmann
(A) abhängig vom Ausmaß des Elends, unabhängig von der
Dimension des Leidens und unabhängig von der Vielzahl menschlicher Schicksale neigen Flüchtlingsdramen
dazu, aus dem öffentlichen Bewusstsein nahezu zu verschwinden, wenn sie nur lang genug andauern und weit
genug von uns entfernt scheinen.
Vor ziemlich genau drei Jahren gingen die Menschen
in Syrien auf die Straße, um friedlich für Werte zu demonstrieren, deren Verteidigung auch bei uns höchste
Priorität hat: für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Doch was seit diesem März 2011 geschah, spottet
jeder Beschreibung: das brutale Vorgehen des Assad-Regimes, welches seinen vorläufigen Höhepunkt im Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung
fand, die Radikalisierung und Zersplitterung der Opposition, die dazu geführt hat, dass es inzwischen zahlreiche
Nebenkriegsschauplätze gibt, die das ursprünglich friedliche Ansinnen der Menschen in Syrien in Vergessenheit
haben geraten lassen. Es sind die Menschen, die heute
auf der Flucht sind, weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, weil sie Opfer von Verfolgung und
von Gewalt sind.
Liebe Frau Amtsberg, Deutschland versteckt sich
nicht. Deutschland hat mehr Flüchtlinge aufgenommen
als jedes andere europäische Land. Das wissen Sie auch.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich sogar erwähnt!)
Der Bund hat sich zu seiner Verantwortung bekannt
(B) und die Aufnahme von insgesamt 10 000 Flüchtlingen
beschlossen. Es besteht Einigkeit darüber, dass auch
nach Ausschöpfung der vorhandenen Kontingente denen, die aus Syrien geflüchtet sind, Schutz in Deutschland gewährt werden soll. Viele Länder haben inzwischen Verlängerungen bezüglich der Antragsfrist für die
Aufnahme beschlossen; darunter Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und andere.
Aber wir wissen auch: Angesichts einer Zahl von
2,4 Millionen Syrern, die laut UNHCR im Ausland
Schutz suchen, und 3,6 Millionen Menschen, die innerhalb der syrischen Grenzen auf der Flucht sind, angesichts dieser schier unvorstellbaren Zahlen kann das,
was wir tun, niemals genug sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Deshalb müssen wir uns weiter für eine gemeinsame
europäische Initiative engagieren. Es kann nicht sein,
dass alle anderen europäischen Staaten zusammen noch
nicht einmal die Hälfte des Kontingents anbieten, das
wir inzwischen zugesagt haben. Deshalb dürfen wir aber
trotzdem nicht müde darin werden, auch alle anderen
Länder der Europäischen Union immer und immer wieder an unsere gemeinsame europäische Verantwortung
zu erinnern, an die Werte von Solidarität und Mitmenschlichkeit, die wir nicht immer nur vor uns hertragen, sondern an denen wir uns auch selbst messen lassen
müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Anträge vom Bündnis 90/Die Grünen und von (C)
der Fraktion Die Linke entsprechen zu großen Teilen genau dem, was wir in den letzten Monaten bereits umsetzen konnten.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ja, dann zustimmen! Einfach zustimmen! – Beifall der Abg. Luise Amtsberg
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Warten Sie einmal ab, Herr von Notz.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Da kommt noch was?)
– Es kommt noch etwas, seien Sie darauf gefasst. – Dazu
haben wir im Übrigen schon am Ende der letzten Legislatur einen fraktionsübergreifenden Antrag gemeinsam
mit CDU/CSU, FDP und den Grünen verabschiedet.
Dass es bei diesem Thema einen so großen Konsens
gibt, ist auch gut so; denn das Schicksal der Menschen,
die aus Syrien flüchten, sollte für uns alle Anlass sein,
um alles Mögliche dafür zu tun, das Leiden dieser Menschen zu mindern. Gerade weil ich an vielen Stellen einen Konsens zwischen unseren Parteien sehe, schlage
ich vor, dass wir uns hinsetzen und einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag einbringen,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist gut!)
der nicht nur unsere gemeinsame Verantwortung im Hinblick auf die schwierige Situation der Flüchtlinge unterstreichen würde, sondern der sowohl der Länderebene
als auch der europäischen Ebene signalisieren würde, (D)
dass wir in dieser Frage zusammenstehen, weil uns das
Leid der Menschen, die ihre syrische Heimat verlassen
mussten, Anlass sein muss, alles dafür zu tun, die Situation der Flüchtlinge in den Anrainerstaaten, aber auch
derer, die zu uns nach Europa kommen, so menschenwürdig wie nur möglich zu gestalten.
(Beifall bei der SPD)
Dabei müssen wir im Blick haben, dass wir hier vor
Ort nur einen kleinen Teil zur Verbesserung der Situation
beitragen können. Wenn wir schnellere und vor allem
auch zielgerichtetere Hilfe anbieten wollen, dann muss
es zum einen darum gehen, dass wir weiter darauf hinwirken müssen, dass organisatorische und administrative
Hindernisse in den syrischen Nachbarländern weiter reduziert werden, damit denjenigen, die dort auf Hilfe warten, schnell geholfen werden kann. Es muss aber auch
darum gehen, dass wir humanitäre Hilfe vor Ort bereitstellen. Deshalb ist es gut, dass Deutschland zu den
größten bilateralen Gebern in der Syrien-Krise gehört
und insgesamt 440 Millionen Euro bereitgestellt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Carolin Emcke
schreibt in Ihrer Reportage im Zeit-Magazin über Menschen, die bei uns Zuflucht suchen:
Was Ghayeb
– ein kurdischer Flüchtling aus Syrien –
und all die anderen brauchen, ist keine weitere Geschichte über ihre Verzweiflung wie diese, sondern