1878
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(A)
Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland
und in der EU
Drucksache 18/840
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit 9 Millionen Vertriebenen hat der Bürgerkrieg
in Syrien längst das größte Flüchtlingsdrama weltweit
ausgelöst. Seit dem Ausbruch des Konflikts vor drei
Jahren flohen nach UN-Angaben mehr als 2,5 Millionen
Syrer ins Ausland; weitere 6,5 Millionen sind zu Vertriebenen in ihrem eigenen Land geworden. Mindestens die
Hälfte der vom Krieg vertriebenen Menschen sind
Kinder.
(B)
Angesichts der unübersichtlichen Konfliktlage und
der nur geringen Aussichten auf eine politische Lösung
ist damit zu rechnen, dass die Not weiter zunehmen wird
und noch viel mehr Menschen flüchten müssen.
Was ist die derzeitige Lage? Die Türkei hat mehr als
625 000 Syrer aufgenommen. Die weitaus meisten
Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs – nahezu 1 Million Menschen – leben im Nachbarland Libanon. Der
Rest verteilt sich auf die Länder Irak, Jordanien und
Ägypten.
Europa hat bisher 4 Prozent der geflüchteten Syrer
aufgenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
finden: Europa kann mehr, Europa muss mehr, und
Deutschland ist für diesen Diskurs die entscheidende
Triebfeder.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Seit Sommer 2013 haben alle Bundesländer – alle außer Bayern – eigene Aufnahmeprogramme für syrische
Flüchtlinge auf den Weg gebracht. Nach dem ersten
Kontingent des Bundes ist der Deutsche Bundestag im
letzten Jahr einen wichtigen humanitären Schritt gegangen und hat fraktionsübergreifend ein zweites Aufnahmekontingent für weitere 5 000 syrische Flüchtlinge
beschlossen.
Trotz des engagierten Einsatzes von Bund, Ländern
und Kommunen reicht der deutsche Beitrag für die
Unterstützung von Schutzsuchenden aus Syrien leider
nicht aus. Denn für die zusätzlichen 5 000 Aufnahmeplätze liegen mindestens zehnmal so viele Anmeldungen
in den Ländern vor. Das sind zwischen 50 000 und
60 000 Menschen, überwiegend mit familiärem Bezug
zu Deutschland. In Anbetracht dieser Situation sieht (C)
meine Fraktion nach wie vor dringenden Handlungsbedarf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da es in der Debatte immer wieder angeführt wird,
möchte ich mich darauf einmal beziehen: Als überzeugte
Europäerin bin ich natürlich immer daran interessiert,
dass es eine gemeinsame faire europäische Lösung für
die europäischen Herausforderungen gibt. Mir ist auch
bewusst, dass sich Deutschland in dieser Frage sehr
engagiert. Trotzdem bedeuten Europa und europäische
Solidarität für mich nicht, dass wir uns hinter der fehlenden Bereitschaft anderer Mitgliedstaaten verstecken dürfen, im Gegenteil.
(Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/
CSU]: Das tun wir auch gar nicht!)
Lassen Sie uns gemeinsam vormachen, was Humanität und großherzige Hilfe, die der humanitären Notlage
in Syrien spürbar etwas entgegensetzen, bedeuten und
wie sie aussehen können. Unser Antrag fordert daher,
ein neues Kontingent aufzulegen, das sich an den derzeit
gestellten Anträgen in den Ländern orientiert.
Aber lassen Sie uns auch konkret in unserer nationalen Gesetzgebung unsere Spielräume nutzen. Es ist und
bleibt ein Unding, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Syrien, die Verwandte in Deutschland haben,
immer noch im Rahmen der Dublin-Verordnung in andere EU-Staaten zurückgeführt und für diesen Zweck
auch in Abschiebehaft genommen werden können.
(D)
Lassen Sie uns in den Dialog mit den Bundesländern
gehen und dafür sorgen, dass die Abschiebestopps nach
Syrien verlängert werden und die hohen Hürden bei den
Aufnahmeprogrammen in den Ländern, vor allen Dingen was die Verpflichtungserklärungen angeht, reduziert
werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Lassen Sie uns weiter dafür kämpfen – auch das ist
Bestandteil unseres Antrages –, dass die Kommission
aufhört, die von der Bundesregierung mit Nachdruck
verlangte Pledging-Konferenz zu blockieren; denn das
ist wirklich ein Skandal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gestrige Berichterstattergespräch im Innenausschuss hat mir noch
einmal verdeutlicht, dass es fraktionsübergreifend ein
tiefes Bewusstsein für die humanitäre Notlage in Syrien
gibt. Auch das Bundesinnenministerium ist bemüht, die
Verfahren zur Aufnahme zu verbessern und die bürokratischen Hürden abzubauen. Das ist gut. Ich begrüße das
ausdrücklich und hoffe, dass wir auf dieser Grundlage
und vor allen Dingen mit diesem Bewusstsein zu einer
gemeinsamen Lösung kommen werden. Ich denke, wir
werden nicht darum herumkommen, über eine Ausweitung des Kontingentes nachzudenken. Wie sie aussehen
wird, das möchten wir gerne diskutieren. Dafür ist unser
Antrag eine Grundlage. Ich hoffe, da auch bei Ihnen auf
offene Ohren zu stoßen.