4.7.3 Fluggastdaten - neue Herausforderungen
Nationale Gesetzgebungen, Begehrlichkeiten von verschiedenster Seite und das Problem der reisenden Dschihadisten bringen die Auseinandersetzungen über die anlasslose polizeiliche Verarbeitung und Nutzung von
Fluggastdaten (PNR) erneut auf die politische Agenda. Das Europäische Parlament hat den Europäischen Gerichtshof um Überprüfung des Abkommens mit Kanada ersucht und nach den Attentaten von Paris zugleich den
Weg für ein europäisches PNR-System frei gemacht.
Noch vor kurzer Zeit schien es, als gäbe es wenig Neues zu diesem Dauerthema der vorangegangenen Tätig keitsberichte zu berichten (vgl. 22. TB Nr. 13.5; 23. TB Nr. 13.9; 24. TB Nr. 2.5.2): Die Schaffung eines europäischen Passenger Name Record-Systems (PNR) wurde vom Europäischen Parlament aufgehalten. Die Übermittlungen von Fluggastdaten aufgrund der bestehenden Abkommen mit den USA und Australien verliefen
recht geräuschlos. Dann aber haben die Diskussionen über Sinn und Nutzen eines PNR -Systems aus verschiedenen Richtungen neuen Schwung erhalten:
Zum einen setzten verschiedene Mitgliedstaaten nationale Regelungen für die Schaffung von PNR-Systemen ins
Werk - pikanterweise mit finanzieller Hilfe der Europäischen Kommission, deren eigener Vorschlag im Europäischen Parlament keine Mehrheit fand.
Zum anderen hatte Russland schon vor der Ukraine-Krise ein Gesetz erlassen, nach dem PNR-Daten sowohl bei
Anflügen auf russische Flughäfen als auch bei Überflügen über russisches Territorium zu übermitteln sind. Dieses Ansinnen konnte zunächst auf so genannte API-Daten beschränkt werden, also jene Daten, die aus einem
Pass ohnehin auslesbar sind.
Eine neue Zuspitzung hatte die politische Diskussion um Fluggastdaten schon vor den Attentaten von Paris
durch den wachsenden Strom von Dschihadisten nach Syrien und in den Irak erlangt. Die Behauptung, Fluggastdaten könnten als Mittel der Terrorbekämpfung von einiger Bedeutung sein, hatte einigen Schwung in die
Diskussionen auf europäischer Ebene gebracht. Nach den Attentaten von Paris stand das Thema dann im Mittelpunkt der Maßnahmen, die als Reaktion auf die Attentate erörtert wurden. Das Europäische Parlament hat darauf reagiert. Es hat seinen grundsätzlichen Widerstand mehrheitlich aufgegeben und damit den Weg für die
Schaffung eines europäischen PNR-Systems frei gemacht.
Meine Zweifel an der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer umfassenden, anlasslosen Speicherung der
Fluggastdaten aller Passagiere bestehen fort. Ein neuer konkreter Gesetzentwurf liegt bei Redaktionsschluss
noch nicht vor. Von zentraler Bedeutung für seine Zulässigkeit wird sein, welche Beschränkungen für die Verarbeitung von Fluggastdaten aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung von
Telekommunikationsdaten folgen (vgl. Nr. 2.3.1). Ich halte das Urteil auch für die Speicherung von Fluggastdaten für äußerst relevant - eine Meinung, die offensichtlich auch die Mehrheit des Europäischen Parlaments teilt:
Es hat den Europäischen Gerichtshof um die Überprüfung des PNR-Abkommens zwischen der EU und Kanada
ersucht. Es wird deutlich, dass dem Europäischen Gerichtshof nun auch im Bereich der inneren Sicherheit mehr
und mehr die Aufgabe zukommt, die das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren nach 9/11 einge nommen hat: Die Grenzen des Zulässigen bei der Terrorbekämpfung zu bestimmen und den Gesetzgeber dabei
gelegentlich auch in seine Schranken zu weisen.
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BfDI 25. Tätigkeitsbericht 2013-2014