Drucksache 16/2551
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Zusammenfassende Bewertung
Nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sind das
Brief- sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich. Die Grundrechtsnorm begründet nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen das Öffnen und Lesen
von Briefen sowie gegen das Abhören, die Kenntnisnahme und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst
den Kommunikationsinhalt und die Kommunikationsumstände. Die öffentliche Gewalt soll grundsätzlich nicht
die Möglichkeit haben, sich Kenntnis vom Inhalt der über
Fernmeldeanlagen vermittelten mündlichen oder schriftlichen Informationen zu verschaffen. Dabei bezieht sich
der Grundrechtsschutz auf alle mittels der Fernmeldetechnik ausgetauschten Informationen. In den Schutzbereich fällt auch die Erlangung der Kenntnis, ob, wann,
wie oft und zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht worden ist. Die freie
Kommunikation, die Artikel 10 GG sichert, leidet, wenn
zu befürchten ist, dass der Staat entsprechende Kenntnisse verwertet. Daher erstreckt sich die Schutzwirkung
des Artikel 10 GG auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von
geschützten Kommunikationsvorgängen anschließt und
in dem Gebrauch von den erlangten Kenntnissen gemacht
wird (zuletzt: BVerfG, 1 BvR 668/04 – Urteil vom 27. Juli
2005, Rd. 81). Das Grundrecht gewährleistet – so das
Bundesverfassungsgericht in einer früheren Entscheidung – die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen
privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch
von Kommunikation und schützt damit zugleich die
Würde des Menschen. Wird vom Inhalt von Briefen
Kenntnis genommen und werden Telefongespräche abgehört, wird intensiv in das Grundrecht eingegriffen. Die
Schwere des Eingriffs wird auch dadurch geprägt, dass
der Betroffene wegen der gebotenen Heimlichkeit nicht
an dem Anordnungsverfahren beteiligt ist (vgl. BVerfG,
1 BvF 3/92 vom 3. März 2004, in: BVerfGE 110, 33).
Auf der anderen Seite steht die zentrale Aufgabe der Sicherheitsbehörden, den Schutz unserer Verfassung zu
gewährleisten, damit Menschenrechte, Freiheit und Demokratie gesichert werden. Diese Aufgabe der Sicherheitsgewährung für die Bürgerinnen und Bürger ist aufgrund der Entwicklung im Bereich des internationalen
Terrorismus seit den schweren Anschlägen am 11. September 2001 zunehmend wichtiger geworden. Die Vielzahl versuchter, aber leider auch teilweise realisierter terroristischer Anschläge allein in Europa in den letzten
Jahren mit einer hohen Zahl von Opfern belegt, wie außerordentlich wichtig es ist, bereits im Vorfeld Informationen zu gewinnen, um derartig schwere Anschläge zu
verhindern und damit einen größtmöglichen Schutz zu
gewährleisten. Die Brief- und Telekommunikationsüberwachung stellt dabei für die beteiligten Dienste ein notwendiges Instrumentarium dar, um den Gefahren frühzeitig begegnen zu können.
Entsprechend dieser Ausgangslage kommt den deutschen
Nachrichtendiensten – aber auch den beteiligten Ministerien sowie den sie kontrollierenden Gremien – eine große
Verantwortung bei der Beantragung, Genehmigung und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Durchführung jeder einzelnen Beschränkungsmaßnahme
zu. Unter Einsatz aller rechtsstaatlichen Mittel haben die
beteiligten Stellen einerseits ein größtmögliches Maß an
Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land zu garantieren und dabei andererseits die Bedürfnisse jedes Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre im
Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung zu wahren. Gerade der Ausgestaltung von Verfahrenssicherungen insbesondere für die G10-Kommission kommt dabei eine herausgehobene Bedeutung zu.
Das Parlamentarische Kontrollgremium hat den Eindruck
gewonnen, dass die Nachrichtendienste ihre Tätigkeit
auch in diesem Berichtszeitraum gewissenhaft und maßvoll ausgeübt haben. Die Zahl der Grundrechtseingriffe
ist in diesem Zeitraum im Verhältnis zu den Maßnahmen
im strafprozessualen Bereich relativ gering. Gleichwohl
ist – wie bereits im Vorjahr – ein weiterer Anstieg der Anordnungen zu vermerken, der auf die auch in Deutschland
anhaltend bestehende Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus zurückzuführen ist. Vor diesem Hintergrund waren die getroffenen Beschränkungen des
Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnisses auch
im Berichtzeitraum geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.
Die von der Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf
vom 2. Februar 2006 (Bundestagsdrucksache 16/509)
vorgeschlagenen Änderungen des Artikel 10-Gesetzes
werden vom Parlamentarischen Kontrollgremium als
sachgerecht angesehen und ebenso wie die Anregungen
der G10-Kommission im Hinblick auf eine Verbesserung
der Anordnungsverfahren im Bereich der strategischen
Kontrolle befürwortet.
I.
Grundlagen der Berichtspflicht
Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem
Deutschen Bundestag nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz [G10] vom 26. Juni 2001
[BGBl. I S. 1254, ber. S. 2298], zuletzt geändert durch
Gesetz vom 11. Februar 2005 [BGBl. I S. 239, 241]) jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art und
Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3, 5 und 8 G10.
Dabei sind die Geheimhaltungsgrundsätze des § 5 Abs. 1
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz [PKGrG] vom 11. April 1978 [BGBl. I S. 453],
zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juni 2001
[BGBl. I S. 1254]) zu beachten.
Die Verpflichtung zur jährlichen Unterrichtung des Deutschen Bundestages wurde eingeführt durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 [BGBl. I
S. 3186]. Zuständig für die parlamentarische Kontrolle
der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Maßnahmen
zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses war zunächst das sog. G10-Gremium. Entsprechende Berichte des G10-Gremiums sind am 4. Juni
1996 (Bundestagsdrucksache 13/5224) und am 13. Februar 1998 (Bundestagsdrucksache 13/9938) abgegeben
worden.