Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
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Drucksache 18/12585
chung zwischen Wohnsitz und tatsächlichem Aufenthaltsort vor, dass die Zuständigkeit für die polizeilichen Maßnahmen zwischen den tangierten Behörden festzulegen ist. Die erste Gefährderübergabe von Nordrhein-Westfalen
an Berlin wurde mit der Verlagerung des tatsächlichen Lebensmittelpunkt nach Berlin begründet, obwohl AMRIs
melderechtlicher Wohnsitz weiterhin in Nordrhein-Westfalen lag. Für die Rückübergabe von Berlin an Nordrhein-Westfalen wurde hingegen der melderechtliche Wohnsitz als Begründung angeführt. Im Ergebnis wurde
AMRI am 10. Mai 2016 wieder als Gefährder im Land Nordrhein-Westfalen eingestuft.
In der AG Operativer Informationsaustausch am 15. Juni 2016 kamen die Behörden übereinstimmend zu der
Bewertung, dass in Bezug auf AMRI derzeit keine konkrete Gefährdungskomponente erkennbar sei. Zielrichtung
war die weitere ausländerrechtliche Bearbeitung der Abschiebung. Die Sicherheitsbehörden hatten nach der Aktenlage aus den laufenden Überwachungsmaßnahmen keine Erkenntnisse, die auf eine konkrete Anschlagsgefahr
hingedeutet hätten, so dass sie ohne eine neue formelle Gefährdungsbewertung faktisch eine Neubewertung der
Sachverhalte vorgenommen haben.
Im Ergebnis führte das LKA Berlin nur eingeschränkt Observationen durch bzw. stellte diese zum 15. Juni 2016
gänzlich ein. Obwohl es sich um einen Gefährder handelte, der nach den vorliegenden Erkenntnissen des LKA
Berlin „langfristig und andauernd“ einen Anschlagsplan verfolgte, begnügte man sich mit einer ausschließlichen
Konzentration der Überwachungsmaßnahmen auf die laufende TKÜ. Diese Maßnahmenreduktion mag (einzig)
vor dem Hintergrund der Eindrücke aus der TKÜ erklärlich sein, wonach man AMRI im allgemeinkriminellen
Milieu (Drogenmilieu) verortete und von einer Aufgabe seiner islamistisch geprägten Ziele ausging. Aus der
Chronologie des BKA geht die Einschätzung hervor, wonach der „Eindruck eines jungen Mannes entstanden sei,
der unstet, sprunghaft und nur wenig gefestigt erschien“. Alle teilnehmenden Behörden haben diese Maßnahmenreduktion bei einem Gefährder – soweit ersichtlich – widerspruchslos und ohne Diskussion hingenommen. AMRI
war danach für 82 Sitzungen bis zum 2. November 2016 nicht mehr auf der Tagesordnung in der AG Operativer
Informationsaustausch im GTAZ.
Das BAMF nahm die Probleme der Passersatzbeschaffungsbemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen zum
Anlass, den Fall AMRI auf zwei Tagesordnungen der AG Status am 19./20. Juli und am 28. September 2016 zu
setzen. Ziel der AG Status ist das frühzeitige Erkennen, ob in konkreten Einzelfällen mit islamistisch-terroristischem Hintergrund ausländerrechtliche Maßnahmen angezeigt sind.
AMRI unternahm am 30. Juli 2016 einen Ausreiseversuch Richtung Schweiz. Die Ausreise wurde nach einem
polizeilichen Hinweis der LKÄ Berlin und Nordrhein-Westfalen durch die BPOL unterbunden. Über diesen Sachverhalt und die nicht erfolgte Stellung eines Antrags auf Abschiebehaft durch die Ausländerbehörde Kleve wurde
vom LKA Baden-Württemberg in der AG Tägliche Lagebesprechung am 3. August 2016 im GTAZ berichtet.
Letztmalig befassten sich die Sicherheitsbehörden im GTAZ mit AMRI in der Sitzung AG Operativer Informationsaustausch am 2. November 2016, in der Erkenntnisse zu AMRI ausgetauscht wurden. Anlass der Erörterung
waren die vom BKA an die Behörden zusammengefasst gesteuerten Erkenntnisanfragen vom 19. September bis
17. Oktober 2016 aus Marokko. Dem Protokoll der Besprechung lässt sich nicht entnehmen, dass nach Auslaufen
der strafprozessualen Maßnahmen über gefahrenabwehrende Maßnahmen der Polizei oder eine weitere Aufklärung durch die Nachrichtendienste gesprochen wurde.
Die strafprozessualen operativen Maßnahmen gegen AMRI waren beendet, nachdem die Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin für eine Observation und Telekommunikationsüberwachung (zum Sachverhalt des
potentiellen Raubüberfalls auf ein Opfer im Land Brandenburg) seit dem 21. September 2016 nicht mehr verlängert wurden. Das Ergebnisprotokoll der GTAZ-Teilnehmer vermerkt deshalb, dass entsprechend der vorliegenden
Erkenntnisse kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar war. Die Erkenntnislage zu AMRI wurde im
GTAZ am 2. November 2016 so bewertet, dass eine andere Gefährdungseinschätzung bzw. eigene weitergehende
operative Maßnahmen nicht erforderlich seien. Gleichwohl kam das LKA Nordrhein-Westfalen zu der Bewertung, dass ein Gefahrenüberhang bestehe, der jedoch im Zuständigkeitsbereich des LKA Berlin und der Landesbehörde für Verfassungsschutz (LfV) Berlin liege.
Das BKA und das zuständige LKA Nordrhein-Westfalen nahmen zu diesem Zeitpunkt keine neue Gefährdungsbewertung zu AMRI im formellen Sinne vor, so dass noch immer die nicht veränderte Bewertung aus dem März
2016 relevant war. Jedoch ist der Formulierung „kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar“ zu entnehmen, dass man an der bisherigen Einschätzung zum Sachverhalt 5 von 8 nicht mehr festhalten wollte. Die zuständige Landesbehörde LKA Nordrhein-Westfalen hätte eine Aktualisierung der Gefährdungsbewertung vornehmen