Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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Ein solches System würde noch weiter reichende Eingriffe in die Bürgerrechte ermöglichen, wenn sogar Vorschläge zur Speicherung der Fluggastdaten bei Flügen
innerhalb der Europäischen Union und von Daten der
Bahn- und Schiffsreisenden Eingang in diese Richtlinie
finden würden.
Dieser Entwurf verdeutlicht erneut, dass ein schlüssiges
Gesamtkonzept auf europäischer Ebene zur Datenverarbeitung im Bereich der inneren Sicherheit fehlt, welches
die Grundrechte der Betroffenen hinreichend gewährleistet.
Die Konferenz fordert daher die Bundesregierung und
den Bundesrat auf, sich dafür einzusetzen, dass der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über die
Verwendung von Passagierdaten nicht realisiert wird.
2.5.3
Zur Zukunft der Grenz- und
Luftsicherheitskontrollen
Grenz- und Sicherheitskontrollen machen niemandem
Spaß, sind lästig und kosten Zeit. Nachdem sie über Jahrzehnte weltweit reduziert und innerhalb des Schengenraums völlig abgeschafft worden waren, erleben sie seit
einiger Zeit eine Renaissance, insbesondere seit den Terroranschlägen von 2001. Kein Wunder, dass dabei zunehmend Technik eingesetzt wird.
Sowohl die Luftfahrtindustrie als auch die Politik erweisen sich als eifrige Ideengeber. Ein Konzept des Luftfahrtverbandes IATA macht schon im Titel eines großen
Projekts seine Zielsetzung deutlich: die Schaffung des
„Checkpoint of the Future“ (vgl. 23. TB Nr. 7.3.2). Auch
im Bundesministerium des Innern wird an neuen Konzepten zur Flugsicherheit gearbeitet. Das erneute Ausrollen
der Körperscanner ist nur eine Maßnahme. Daneben stehen Pläne zur Fortentwicklung der biometrischen Grenzkontrollen und von Programmen für sog. registrierte Vielreisende. Überlegungen zu „intelligenten Kontrollen“ hat
schließlich auch die Europäische Kommission angestellt.
2.5.3.1
„Checkpoint of the Future“ – eine
Diskriminierungsfalle?
Die Sicherheitsschleusen am Flughafen der Zukunft sollen den „gefährlichen Passagier“ aufspüren. Ungerechtfertigte Intensiv-Kontrollen und diskriminierende Praktiken sind dabei vorprogrammiert. Und ob damit wirklich
mehr Sicherheit erreicht wird, erscheint fraglich.
Schon in meinem letzten Tätigkeitsbericht hatte ich über
die ersten noch recht vagen Überlegungen des Luftfahrtverbandes IATA berichtet, ein Modell für einen „Checkpoint of the Future“ zu schaffen (23. TB Nr. 7.3.2). Nach
den weiterentwickelten Plänen zu einer „risikobasierten
Sicherheitskontrolle“ sollen mehr Passagiere in kürzerer
Zeit abgefertigt werden können. Zudem sollen mehr und
mehr Reisende nach einer Sicherheitsüberprüfung als „registrierte Vielreisende“ (registered travellers) in entsprechenden Programmen erfasst werden.
Drucksache 17/13000
Das neue Gedankengebäude der IATA wirft viele Fragen
auf, vor allem: Wie will man herausfinden, wer ein „gefährlicher Passagier“ ist? Denn Ziel der Sicherheitskontrolle soll es ja nicht mehr in erster Linie sein, gefährliche
Gegenstände zu identifizieren.
Es ist nahe liegend, dass ein umfassendes Profiling des
Passagiers erfolgt, unter Einbeziehung seines Verhaltens
am Flughafen. Wesentlich wären nach den Vorstellungen
der IATA auch die Daten von Fluggesellschaften und der
Sicherheitsbehörden.
Viele Punkte bleiben in dem Konzept der IATA allerdings
offen: Welche Annahmen sollen der Entscheidung
zugrunde gelegt werden? Wer soll die Bewertungen, Vermutungen und Fakten für diese neue Art der Risikobewertung bzw. des „Scoring“ liefern, auswerten und speichern? Und wer soll letztendlich die Entscheidung
treffen? Die Artikel-29-Gruppe hat sich dieses wichtigen
Themas angenommen und ist dabei, genau diese Fragen
mit der IATA zu diskutieren.
Ich begegne dieser neuen Grundausrichtung des IATAModells mit großer Skepsis. Rechtfertigt es das Motiv der
Kosteneffizienz, jeden Passagier mit allen möglichen
polizeilichen Datenbanken und zusätzlich noch gegen abstrakte Gefährdungsprofile abzugleichen? Ist es überhaupt möglich, jedem Passagier objektiv nachvollziehbar
ein Risiko zwischen 1 und 5 oder 1 und 10 zuzuschreiben,
ohne zu diskriminieren und ohne gegen Persönlichkeitsrechte zu verstoßen? Wie die IATA angibt, soll die weltweite Umsetzung des Projekts je nach anwendbarem
Recht unterschiedlich sein. Der Maßstab für das rechtlich
Zulässige bei der Nutzung von personenbezogenen Daten
sei schließlich national. Es wird also nicht einen „Checkpoint of the Future“ geben, sondern viele.
Sollten sich die Vorstellungen von der „Sicherheitsschleuse der Zukunft“ durchsetzen, wäre die gegenwärtige Gleichbehandlung der Reisenden („one-size-fits-all“)
passé. Risikoreisende, aber auch nicht registrierte Wenigflieger, Angehörige bestimmter Ethnien und Altersgruppen, Bürgerinnen und Bürger bestimmter Staaten, würden
einer noch intensiveren Kontrolle als heute unterzogen,
während die kommerziell besonders interessanten Geschäftskunden und andere Vielreisenden mehr oder minder durchgewunken würden. Ob sich ein solches Szenario
mit unseren Vorstellungen von Persönlichkeits-, Grundund Menschenrechten vereinbaren ließe, halte ich für
zweifelhaft. Für fraglich halte ich auch, ob ein solches
System wirklich zu mehr Sicherheit führen würde, lädt es
doch mutmaßliche Terroristen geradezu ein, in die wenig
kontrollierte Gruppe der registrierten Vielflieger eingereiht zu werden.
Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass die Persönlichkeitsrechte der Passagiere auch bei der Weiterentwicklung der Sicherheit am Flughafen nicht abstürzen.
2.5.3.2
Vom Nackt- zum Körperscanner
Begleitet von einer intensiven öffentlichen Auseinandersetzung hatte das Bundesministerium des Innern (BMI)
Körperscanner für zehn Monate erprobt. Die Geräte wur-
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012