Drucksache 17/13000

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gleichen. Eine gerichtliche Überprüfung der Speicherund Verarbeitungspraxis der US-Behörden nach dem
PNR-Abkommen bleibt Betroffenen ohne US-Wohnsitz
jedenfalls weiterhin verwehrt.
Für zweifelhaft halte ich es, ob nach dem PNR-Abkommen
auch Passagierdaten bloßer Überflüge ohne Landung in
den USA übermittelt werden dürfen, Die US-Behörden
verlangen von den Fluggesellschaften auch Passagier-Daten, wenn US-amerikanischer Luftraum nur berührt wird,
etwa bei Direktflügen aus Europa in die Karibik.
Schließlich beobachte ich mit Sorge, dass immer mehr
Staaten nach dem US-Modell die Vorab-Übermittlung
von umfangreichen Passagierdaten fordern, darunter solche, die man auch bei bestem Willen kaum als demokratisch bezeichnen kann. Ich bin gespannt auf die Antworten aus Berlin und Brüssel.
2.5.2.2

PNR für Europa?

Die Europäische Kommission hat einen Vorstoß zur anlasslosen Speicherung von Fluggastdaten unternommen.
Werden PNR-Daten zukünftig auch von europäischen Sicherheitsbehörden ohne Vorliegen eines konkreten Verdachts genutzt und gespeichert? Die Europäische Kommission hat jedenfalls im Februar 2011 einen neuen Entwurf
vorgelegt, der dies vorsieht. Schon seit vielen Jahren wurde
im Rat kontrovers über das Vorhaben diskutiert. Ein erster
Entwurf mit vergleichbarer Zielrichtung stammt von November 2007 (vgl. 22. TB Nr. 13.5.3), wurde aber nach
heftiger Kritik zunächst nicht weiterverfolgt.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und
der Länder hat in ihrer Entschließung vom 16./17. März
2011 die kritischen Punkte deutlich gemacht (vgl. Kasten
zu Nr. 2.5.2.2). Auch der neue Entwurf bleibe konkrete
Beweise dafür schuldig, dass die anlassfreie automatisierte Auswertung und Analyse von Flugpassagierdaten
durch Polizei und Strafverfolgungsbehörden geeignet und
erforderlich sei, um Terrorismus und schwere Kriminalität zu bekämpfen.
Darüber hinaus fordert der Entwurf die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gleich an zwei Stellen heraus. Zum einen würde eine verdachtslose Speicherung
aller PNR-Daten eine weitere anlasslose Vorratsdatenspeicherung schaffen – dieses Mal nicht bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten, sondern unmittelbar bei Grenz- oder Polizeibehörden. Das Gericht hatte in
seinem Urteil zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung
(Urteil vom 2. März 2010, 1 BvR 256/08) klargestellt,
dass die Wahrnehmung der Handlungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden dürfe. Dies gehöre zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland (vgl. 23. TB Nr. 6.1).
Die Luft für Vorratsdatenspeicherung ist also nicht nur
datenschutzpolitisch, sondern schon verfassungsrechtlich
sehr, sehr dünn.
Die andere verfassungsrechtliche Frage betrifft die geplanten Datenabgleiche. Vorgesehen ist unter anderem,
die Daten aller Passagiere mit vordefinierten Risikoprofilen abzugleichen. Die Nähe zur Rasterfahndung liegt auf

BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der Hand. Eine präventive Rasterfahndung ist allerdings
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
unzulässig, solange keine hinreichend konkrete Gefahr
für hochrangige Rechtsgüter vorliegt (Beschluss vom
4. April 2006, 1 BvR 518/02 – vgl. 21. TB Nr. 5.2.3).
Ein weiterer großer Streitpunkt betrifft eine Regelung, die
in dem Entwurf der Kommission gar nicht vorkommt.
Verschiedene Mitgliedstaaten und Parlamentarier wollen
auch die Flüge innerhalb der Europäischen Union einbeziehen. Erfasst wären also nicht mehr nur Fernflüge, sondern auch Flüge zwischen Berlin und Paris oder Köln und
Rom. Dann aber wäre es nur logisch, Bahn-, Schiffs- und
Busreisende gleich mit zu erfassen. So breitet sich die
„Kultur der Überwachung“ – gleich einem Ölfleck auf
dem Wasser – immer weiter aus. Es ist zu hoffen, dass die
verfassungsrechtlichen „Ölsperren“ dieser Entwicklung
Einhalt gebieten.
K a s t e n z u N r. 2 . 5 . 2 . 2
Entschließung der 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder 
am 16./17. März 2011
Keine Vorratsspeicherung und Rasterung 
von Flugpassagierdaten!
Die EU-Kommission hat am 2. Februar 2011 einen
neuen Entwurf für eine Richtlinie zur Nutzung von EUFlugpassagierdaten zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung vorgestellt.
Zentraler Gegenstand des Entwurfs ist die systematische
Erfassung der Daten aller Fluggäste, die EU-Außengrenzen überqueren. Diese Daten aus den Buchungssystemen der Fluggesellschaften sollen anlass- und verdachtsunabhängig an eine nationale Zentralstelle der
Sicherheitsbehörden übermittelt und regelmäßig für
fünf Jahre gespeichert werden. Ziel soll es sein, damit
Personen ausfindig zu machen, die in Terrorismus oder
schwere Kriminalität verwickelt sein könnten.
Auch der neue Entwurf bleibt konkrete Beweise dafür
schuldig, dass die anlassfreie automatisierte Auswertung und Analyse von Flugpassagierdaten geeignet und
erforderlich ist, um dieses Ziel zu fördern. Ein solches
Zusammenspiel von Vorratsspeicherung und Rasterung
von Passagierdaten ist weder mit der EU-Grundrechtecharta noch mit dem grundgesetzlich garantierten
Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem
Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08) zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten
gemahnt hat:
Zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik
Deutschland gehört es, dass die Freiheitswahrnehmung
der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf. Hierfür hat sich die Bundesrepublik auch auf europäischer und internationaler Ebene
einzusetzen.

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