Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
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die Persönlichkeitsrechte der Petentin dar. Dieser wurde
direkt nach Eingang der anonymen Anzeige ohne Prüfung
weiterer Indizien allein auf Grund des – dazu noch unsachlichen – Inhalts der Anzeige durchgeführt. Ohne weitere hinzutretende Hinweise hätte das Jobcenter die Petentin aufgrund des Ersterhebungsgrundsatzes (§ 67a
Absatz 2 Satz 1 SGB X) zunächst persönlich zur anonymen Anzeige befragen müssen. Da Zweck des Hausbesuchs die Feststellung war, ob die Petentin in der Wohnung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, waren weder
die Fertigung der Inventarliste noch deren Speicherung in
der Leistungsakte erforderlich. Hier hätte ein Prüfbericht
des Inhalts genügt, die Petentin sei in der Wohnung angetroffen worden und es hätten keine Hinweise für eine regelmäßige Abwesenheit festgestellt werden können. Das
Jobcenter hat eingeräumt, die Inventarliste für einen anderen, aktuell nicht anstehenden Zweck und damit auf
Vorrat angefertigt zu haben.
Auf eine Beanstandung des Datenschutzverstoßes habe
ich nur verzichtet, weil das Jobcenter auf meine Hinweise
hin das unverhältnismäßig umfangreiche Prüfprotokoll
sowie die Inventarliste aus der Akte gelöscht hat. Außerdem hat das Jobcenter seine Dienstanweisungen für die
Beauftragung des Außendienstes überarbeitet und dabei
meine Hinweise bei der Festlegung der Verfahrensabläufe
berücksichtigt.
12.1.3.2 Beratung in Doppelbüros
Das Sozialgeheimnis muss auf jeden Fall gewahrt bleiben.
Immer wieder beschweren sich Petenten darüber, sie würden als Kunden im Jobcenter in einem Doppelbüro zur
gleichen Zeit mit ihnen unbekannten Dritten beraten.
Hierbei können die Betroffenen gegenseitig eine Vielzahl
von persönlichen Informationen der jeweils anderen Kunden wahrnehmen. Von der Einladung von zwei Kunden
zum gleichen Zeitpunkt in ein Doppelbüro konnte ich
mich anlässlich meiner Kontrollbesuche vor Ort überzeugen. Die betreffenden Jobcenter begründen die Erforderlichkeit von parallelen Beratungsgesprächen in einem
Raum mit den baulichen Gegebenheiten vor Ort und einem Mangel an Einzelbüros.
Alle Jobcenter haben gemäß § 78a SGB X die organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um
den Sozialdatenschutz für ihre Kunden zu gewährleisten.
Die Wahrung des Sozialgeheimnisses (§ 35 Absatz 1
SGB I) umfasst die Verpflichtung, auch innerhalb des
Jobcenters sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind oder nur an diese weitergegeben
werden. Somit ist die gleichzeitige Beratung mehrerer
Kunden in Doppelbüros unzulässig und kann nur durch
eine abwechselnde Terminvergabe vermieden werden.
Ich habe die entsprechenden Jobcenter daher aufgefordert, von der Praxis der gleichzeitigen Terminierung in
Doppelbüros Abstand zu nehmen. Alternativ sind Doppelbüros durch bauliche Maßnahmen wie Schall- und
Sichtschutzwände so zu gestalten, dass das Sozialgeheimnis gewahrt bleibt.
Drucksache 17/13000
12.1.3.3 Dürfen Jobcenter Daten aus sozialen
Netzwerken verwenden?
Jobcenter sollten von Recherchen in Internetsuchmaschinen und sozialen Netzwerken nur ausnahmsweise Gebrauch machen.
Die von Geschäftsführern und behördlichen Datenschutzbeauftragten von Jobcentern aufgeworfene Frage, ob die
Nutzung von Internetsuchmaschinen und sozialen Netzwerken im Rahmen der Sachverhaltsermittlung (§ 20
SGB X) datenschutzrechtlich zulässig ist, lässt sich nur
differenziert und unter Beachtung der Grundsätze des Sozialdatenschutzes (§§ 67 ff. SGB X) beantworten.
Zunächst muss die Erforderlichkeit der Datenerhebung
für die Aufgabenerfüllung in jedem Einzelfall gegeben
sein (§ 67a Absatz 1 Satz 1 SGB X). Weiterhin gilt auch
für die Jobcenter der Grundsatz, dass Sozialdaten zuerst
beim Betroffenen zu erheben sind (§ 67a Absatz 2 Satz 1
SGB X), was dessen bewusste Mitwirkung an der Datenerhebung voraussetzt, die bei der Erhebung im Internet
grundsätzlich nicht gegeben ist. Im Fall sozialer Netzwerke haben die Betroffenen zwar ihre Daten selbst eingestellt, jedoch keine Kenntnis davon, dass das Jobcenter
Daten gezielt aus sozialen Netzwerken auswertet. Dazu
kommt, dass die Nutzungsbedingungen dieser sozialen
Netzwerke in vielen Fällen eine zweckfremde Nutzung
ausschließen, soweit der Nutzer diese Daten nicht für die
öffentliche Verwendung freigegeben hat. Damit haben die
Betroffenen an der Datenerhebung nicht bewusst mitgewirkt. Dies gilt umso mehr, wenn die Informationen
durch einen Dritten ins Internet gestellt wurden.
Ich sehe in der gezielten Abfrage von Daten aus sozialen
Netzwerken eine Datenerhebung bei Dritten. Eine solche
Abfrage ist nur zulässig, wenn eine gesetzliche Regelung
dies ausnahmsweise erlaubt. Als Ausnahmetatbestand
kommt hier § 67a Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 lit. b)
SGB X in Betracht; danach muss die Erhebung bei anderen Personen oder Stellen zur Erfüllung der Aufgaben des
Jobcenters erforderlich sein, da sie nicht beim Betroffenen selbst erfolgen kann.
Im Fall einer Missbrauchskontrolle kann dies ausnahmsweise so sein, es müssen aber bereits erste konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorliegen. Ein pauschaler Abgleich ist nicht gestattet. Die Abfrage von Daten in
Suchmaschinen und sozialen Netzwerken muss aber auch
eine geeignete Maßnahme sein. Hier habe ich erhebliche
Zweifel, da Angaben in sozialen Netzwerken aus verschiedenen Gründen häufig nicht der Realität entsprechen. Beispielsweise kann der Nutzer sein Profil lange
nicht mehr aktualisiert haben oder er möchte Änderungen
seiner Lebensumstände absichtlich nicht einstellen, damit
sie anderen Nutzern nicht bekannt werden. Da somit die
Authentizität der eingestellten Daten nicht sichergestellt
ist, ist auch die Geeignetheit der Erhebung entsprechender Daten in Frage gestellt.
Das Gesetz lässt eine Ausnahme vom Ersterhebungsgrundsatz auch dann zu, wenn die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern
würde. Die Recherche im Internet wäre häufig ein weni-
BfDI 24. Tätigkeitsbericht 2011-2012