Drucksache 16/11559

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Zusammenfassende Bewertung
Nach Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) sind
das Brief- sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich. Die Grundrechtsnorm begründet nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen das Öffnen und Lesen von
Briefen sowie gegen das Abhören, die Kenntnisnahme
und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation.
Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst zuerst
den Kommunikationsinhalt. Die öffentliche Gewalt soll
grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, sich Kenntnis
vom Inhalt des über Fernmeldeanlagen vermittelten
mündlichen oder schriftlichen Informations- und Gedankenaustauschs zu verschaffen. Einen Unterschied zwischen
Kommunikationen mit privaten und anderen, etwa geschäftlichen oder politischen Inhalten macht Artikel 10 GG
dabei nicht. Der Grundrechtsschutz bezieht sich auf alle
mittels der Fernmeldetechnik ausgetauschten Kommunikationen. Der Grundrechtsschutz erschöpft sich aber
nicht in der Abschirmung des Kommunikationsinhalts gegen staatliche Kenntnisnahme, sondern umfasst auch die
Kommunikationsumstände. In den Schutzbereich fällt
auch die Erlangung der Kenntnis, ob, wann, wie oft und
zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht worden ist. Die von Artikel 10 GG
gesicherte freie Kommunikation leidet, wenn zu befürchten ist, dass der Staat entsprechende Kenntnisse verwertet.
Daher erstreckt sich die Schutzwirkung des Artikel 10 GG
auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von geschützten
Kommunikationsvorgängen anschließt und in dem Gebrauch von den erlangten Kenntnissen gemacht wird (vgl.
BVerfG, 1 BvR 668/04 – Urteil vom 27. Juli 2005, in:
BVerfGE 113, 348 ff.). Das Grundrecht gewährleistet – so
das Bundesverfassungsgericht – die freie Entfaltung der
Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Kommunikation und
schützt damit zugleich die Würde des Menschen. Wird
vom Inhalt von Briefen Kenntnis genommen und werden
Telefongespräche abgehört, wird intensiv in das Grundrecht eingegriffen. Die Schwere des Eingriffs wird auch
dadurch geprägt, dass der Betroffene wegen der gebotenen Heimlichkeit nicht an dem Anordnungsverfahren beteiligt ist (vgl. BVerfG, 1 BvF 3/92 vom 3. März 2004, in:
BVerfGE 110, 33).
Auf der anderen Seite steht die zentrale Aufgabe der Sicherheitsbehörden, den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu gewährleisten, damit Menschenrechte, Freiheit und Demokratie gesichert werden. Diese
Aufgabe der Sicherheitsgewährung für die Bürgerinnen
und Bürger ist aufgrund der Entwicklung im Bereich des
internationalen Terrorismus seit den schweren Anschlägen am 11. September 2001 zunehmend wichtiger geworden. Die Vielzahl versuchter, aber leider auch teilweise
realisierter terroristischer Anschläge allein in Europa in
den letzten Jahren mit einer hohen Zahl von Opfern, belegt die Bedeutung der Gewinnung von Informationen,
um schwere Anschläge zu verhindern und damit einen
größtmöglichen Schutz zu gewährleisten. Die Brief- und
Telekommunikationsüberwachung stellt dabei für die be-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

teiligten Dienste ein notwendiges Instrumentarium dar,
um den Gefahren frühzeitig begegnen zu können.
Entsprechend dieser Ausgangslage kommt den deutschen
Nachrichtendiensten – aber auch den beteiligten Ministerien sowie den sie kontrollierenden Gremien – eine große
Verantwortung bei der Beantragung, Genehmigung und
Durchführung jeder einzelnen Beschränkungsmaßnahme
zu. Unter Einsatz aller rechtsstaatlichen Mittel haben die
beteiligten Stellen einerseits ein größtmögliches Maß an
Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land zu garantieren und dabei andererseits die Bedürfnisse jedes Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre im
Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung zu wahren. Gerade der Ausgestaltung von Verfahrenssicherungen, wie
der Kontrolle durch die G10-Kommission, kommt dabei
eine herausgehobene Bedeutung zu.
Die Zahl der Grundrechtseingriffe ist im Berichtszeitraum im Verhältnis zu den Maßnahmen im strafprozessualen Bereich – wie auch bereits in den Vorjahren – weiterhin relativ gering. Im Vergleich zum Vorjahr ist die
Zahl der Einzelmaßnahmen bezogen auf das erste und
zweite Halbjahr leicht zurückgegangen. Die Zahl der
Haupt- und Nebenbetroffenen unterlag ebenfalls nur geringen Schwankungen. Die getroffenen Beschränkungen
des Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnisses
waren im Berichtzeitraum nach Einschätzung der G10Kommission rechtmäßig, insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Grundrechts aus Artikel 10 GG erscheinen
die getroffenen Maßnahmen auch von der Anzahl her
maßvoll.
I.

Grundlagen der Berichtspflicht

Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem Deutschen Bundestag nach § 14 Absatz 1 Satz 2 G10 vom
26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, ber. S. 2298), zuletzt
geändert durch Gesetz vom 18. Februar 2007 (BGBl. I
S. 106) jährlich einen Bericht über die Durchführung
sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3,
5 und 8 G10. Dabei sind die Geheimhaltungsgrundsätze
des § 5 Absatz 1 des Gesetzes über die parlamentarische
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
(Kontrollgremiumgesetz [PKGrG] vom 11. April 1978
[BGBl. I S. 453], zuletzt geändert durch Gesetz vom
26. Juni 2001 [BGBl. I S. 1254, 1260]) zu beachten.
Die Verpflichtung zur jährlichen Unterrichtung des Deutschen Bundestages wurde eingeführt durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl.
S. 3186). Zuständig für die parlamentarische Kontrolle
der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Maßnahmen
zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses war zunächst das sog. G10-Gremium. Entsprechende Berichte des G10-Gremiums sind am 4. Juni
1996 (Bundestagsdrucksache 13/5224) und am 13. Februar 1998 (Bundestagsdrucksache 13/9938) abgegeben
worden.
Durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien vom 17. Juni

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