Drucksache 17/12773
I.
–2–
Grundlagen der Berichtspflicht
Nach Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) sind
das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich. Das Grundrecht gewährleistet die
freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten,
vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Kommunikation und schützt damit zugleich die Würde des
Menschen. Es begründet ein Abwehrrecht gegen die Öffnung von Briefen und die Einsichtnahme in sie sowie gegen das Abhören, die Kenntnisnahme und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation, aber auch gegen
die Erfassung ihrer Umstände, die Auswertung des Inhalts und die Verwendung gewonnener Daten. Die Kenntnisnahme des Inhalts von Briefen und das Abhören von
Telefongesprächen sind ein intensiver Grundrechtseingriff,
der umso schwerer wiegt, wenn der Betroffene wegen der
gebotenen Heimlichkeit nicht an dem betreffenden Anordnungsverfahren beteiligt ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004, 1 BvF 3/92,
BVerfGE 110, 33).
Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses dürfen nach Artikel 10 Absatz 2 GG nur auf Grund
eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des
Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und
dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung
durch von der Volksvertretung bestellte Organe und
Hilfsorgane tritt.
Eine solche Beschränkung enthält das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses
(Artikel 10-Gesetz – G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I
S. 1254, ber. S. 2298), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) geändert
wurde.
Nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 G 10 sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) berechtigt, zur Abwehr von drohenden
Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes
oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der
Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der
nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen.
Nummer 2 der Vorschrift regelt weitere spezifische Befugnisse des BND.
Die weiteren Voraussetzungen richten sich danach, ob
Beschränkungen in Einzelfällen gemäß § 3 G 10 (sogenannte Individualmaßnahmen) oder strategische Beschränkungen nach den §§ 5 oder 8 G 10 für internationale Telekommunikationsbeziehungen vorgenommen
werden sollen. Unter bestimmten Voraussetzungen darf
der BND durch Beschränkungen nach § 5 Absatz 1 Satz 3
Nummer 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln.
Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem
Deutschen Bundestag gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 G 10
jährlich einen Bericht über Durchführung sowie Art und
Umfang der Maßnahmen nach den vorgenannten Vorschriften. Dabei sind die Geheimhaltungsgrundsätze nach
§ 10 Absatz 1 des Gesetzes über die parlamentarische
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
(Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) vom 29. Juli 2009
(BGBl. I S. 2346) zu beachten.
Seinen letzten Bericht hat das Gremium am 10. Februar
2012 (Bundestagsdrucksache 17/8639) vorgelegt. Er erstreckte sich auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum
31. Dezember 2010. Auf die dort enthaltenen Fundstellen
früherer Berichte wird verwiesen. Weitere Hinweise auf
Fundstellen zu vorherigen Berichten seit der 14. Wahlperiode finden sich in der Bundestagsdrucksache 16/11559.
Der jetzt vorliegende Bericht setzt diese Berichterstattung
fort und umfasst den Zeitraum vom 1. Januar bis zum
31. Dezember 2011.
II.
Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen
nach dem G 10
Nach § 1 Absatz 2 G 10 unterliegen Beschränkungsmaßnahmen, die von Behörden des Bundes durchgeführt werden, der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10Kommission). Werden solche Maßnahmen von Behörden
der Länder durchgeführt, obliegt die Kontrolle vergleichbaren Gremien auf Länderebene. Angesichts der Bedeutung des Grundrechts aus Artikel 10 GG und der Schwere
des jeweiligen Eingriffs tragen die Nachrichtendienste,
die beteiligten Ministerien und die sie kontrollierenden
Gremien im gesamten Prozess der Beantragung, Genehmigung, Durchführung, Beendigung und Mitteilung einer
Beschränkungsmaßnahme sowie der betreffenden Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten eine hohe Verantwortung. Einerseits gilt es, die Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten, andererseits
aber auch, die Rechte jedes Einzelnen auf Schutz seiner
Privatsphäre zu wahren.
1.
Kontrolle durch das Parlamentarische
Kontrollgremium
Nach § 1 Absatz 1 PKGrG unterliegt die Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des MAD und des BND der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium. Der
Deutsche Bundestag wählt dessen Mitglieder gemäß § 2
Absatz 2 und 3 dieses Gesetzes zu Beginn jeder Wahlperiode aus seiner Mitte. Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des
Gremiums.
Dementsprechend beschloss der Deutsche Bundestag am
17. Dezember 2009, ein aus elf Abgeordneten bestehen-