Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

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zur Notrufverordnung gelöst werden kann, bleibt abzuwarten. Außerdem muss der Wille von Nutzern respektiert werden, in bestimmten Fällen nicht präzise geortet
zu werden. Hierfür müssen die erforderlichen technischen
Voraussetzungen geschaffen werden, etwa die Möglichkeit, eine Satelliten-Ortungsfunktion im Handy bei Bedarf abzuschalten.
Ich bestreite nicht, dass Ortungsdienste in vielen Bereichen durchaus sinnvoll eingesetzt werden können. Umso
wichtiger ist es, dass dabei die Privatsphäre der Nutzer
gewahrt und Missbräuche unterbunden werden. Während
andere schwere Eingriffe in den persönlichen Lebensund Geheimbereich bereits strafrechtlich erfasst sind,
etwa die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes oder
heimliche Bildaufnahmen (§§ 201, 201a StGB), besteht
beim Missbrauch von Ortungsgeräten noch eine Lücke im
Strafrecht (vgl. 21. TB Nr. 6.4).
7.8

Verwendung von Telekommunikationsverkehrsdaten für Straßenverkehrsinformationen

Telekommunikationsverkehrsdaten enthalten auch Informationen, die für ganz andere Zwecke interessant sein
können.
Verkehrsdaten sind für Telekommunikationsunternehmen ein wertvolles Gut – nicht nur für Abrechnungszwecke. Anders als im Festnetz fallen beim Internet-Zugang
oder im Mobilfunkbereich weitaus mehr Verkehrsdaten
an, die auch von wirtschaftlichem Interesse sind. So
möchten etwa einige Firmen das Surfverhalten von Internet-Nutzern auswerten, um genauere Erkenntnisse über
das allgemeine Nutzerverhalten zu gewinnen oder den
Nutzern gezielte Werbung zu präsentieren. Alle Modelle,
die mir hierzu bisher bekannt sind, gehen jedoch weit
über das hinaus, was in Deutschland zulässig ist.
Eine andere Anwendung betrifft Verkehrsdaten im doppelten Sinne. In den Mobilfunknetzen muss der aktuelle
Aufenthaltsort eines Handys bekannt sein, damit eine
Kommunikation zwischen Handy und Netz zustande
kommt. Die dafür notwendige Signalisierung – bei der es
sich um Verkehrsdaten im Sinne des TKG handelt – kann
ausgewertet werden, um Rückschlüsse auf Ort und Bewegungsgeschwindigkeit der Handys zu ziehen. Bei einer
ausreichend großen Zahl von solchen Datensätzen können durch statistische Auswertungen Daten zum Straßenverkehr gewonnen werden. Wenn sich etwa in einem Bereich einer Autobahn alle Handys mit höchstens 30 km/h
bewegen, dürfte dies ein deutlicher Hinweis auf einen
Stau sein. Da eine solche Umnutzung von Verkehrsdaten
im TKG nicht vorgesehen ist, ist es erforderlich, dass die
Daten bereits vor ihrer Speicherung, weiteren Verarbeitung und Verknüpfung anonymisiert werden. Das Anonymisierungsverfahren ist so zu gestalten, dass die Anonymisierung irreversibel, also faktisch nicht wieder
rückgängig zu machen ist. Wenn noch eine Speicherung
der anonymisierten Daten erforderlich ist, sollte der Umfang soweit als möglich begrenzt werden, damit keine
Möglichkeit besteht – etwa durch eine Verknüpfung mit

Drucksache 16/12600

anderen Informationen –, dennoch Rückschlüsse auf eine
Person zu ziehen. Da eine solche Verarbeitung von Verkehrsdaten für andere Zwecke besondere Risiken für die
Betroffenen beinhaltet, ist hierfür eine Vorabkontrolle
i. S. v. § 4d Absatz 5 BDSG durchzuführen.
Von zwei Netzbetreibern ist mir bekannt, dass sie ein derartiges Verfahren einführen werden. Nach einigen Verbesserungen halte ich das eine System für akzeptabel, bei
dem anderen waren zum Redaktionsschluss die Gespräche noch nicht abgeschlossen. Es erscheint einerseits bedenklich, dass die Bewegungsdaten aller Kunden verwendet werden, andererseits werden jedoch nur Statistikdaten
benötigt, da es hier keine Rolle spielt, welche Person im
Stau steht.
K a s t e n zu Nr. 7.8
In der Telekommunikation unterscheidet man folgende
Arten von Daten:
Bestandsdaten sind Daten eines Teilnehmers, die für
die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung
oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden. Hierzu gehören etwa Name, Adresse, Kontonummer. Es besteht eine
Pflicht, für Abfragen von Sicherheitsbehörden bestimmte Bestandsdaten zu erheben, auch wenn diese betrieblich nicht erforderlich sind (s. § 111 TKG). Ein
unachtsamer Umgang mit diesen Daten (s. Nr. 3.2.4)
oder eine missbräuchliche Nutzung z. B. von Kontendaten kann schwerwiegende Folgen für den Teilnehmer
haben.
Verkehrsdaten sind Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet
oder genutzt werden und unterliegen dem Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG, § 88 TKG). Dies sind neben
den Daten, die man vom Einzelverbindungsnachweis
kennt, auch Standortdaten bei Handygesprächen oder
IP-Adressen beim Abruf von E-Mails. Auch hier besteht
eine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung (s. Nr. 3.2.1).
Die Aussagekraft dieser Daten ist sehr hoch, da soziale
Netzwerke oder Bewegungsprofile erkennbar werden.
Den Wert dieser Daten hatte auch die Sicherheitsabteilung eines großes Telekommunikationsdiensteanbieters
erkannt (s. Nr. 3.2.2). Auch die temporär anfallende
Signalisierung für den Netzbetrieb zählt zu den Verkehrsdaten und kann für andere Zwecke interessant sein
(s. Nr. 7.8). Bei bestimmten Interessenlagen ist die
Definition von Verkehrsdaten jedoch auslegungsfähig
(s. Nr. 7.11).
Der Inhalt der Telekommunikation, also etwa das Telefongespräch, der Text einer SMS oder E-Mail oder
übertragene Daten unterliegen ebenso dem Fernmeldegeheimnis und genießen den höchsten rechtlichen
Schutz. Erfreulicherweise muss sich der BfDI weniger
häufig mit Datenschutzproblemen zum Inhalt der Telekommunikation beschäftigen, ein Fall findet sich im
20. TB (Nr. 13.2.1).

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

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