Drucksache 16/12600

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ten, Urkunden und andere Schriftstücke nach dem Bundesarchivgesetz dem Bundesarchiv anzubieten. Das Bundesarchiv entscheidet auf Grund fachlicher Kriterien über
die Archivwürdigkeit. Schon aus Platzgründen wird nur
ein geringer Teil der Unterlagen in das Bundesarchiv
übernommen; der Rest wird zur Vernichtung freigegeben.
Soweit die archivierten Materialien personenbezogen
sind – etwa Personalakten – sorgen Datenschutz- und Löschungsregelungen für die Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen.
Der Übergang zu digitalen Verarbeitungsverfahren in der
öffentlichen Verwaltung stellt die Archive vor erhebliche
Herausforderungen. So muss entschieden werden, wie zukünftig mit elektronischen Registern (etwa dem Ausländerzentralregister oder dem Bundeszentralregister) umgegangen werden soll.
Ein Referentenentwurf des BKM, der sich zur Zeit noch
in der Ressortabstimmung befindet, sieht für die laufend
aktualisierten digitalen Aufzeichnungen vor, dass das
Bundesarchiv zu bestimmten mit der zuständigen Behörde festzulegenden Stichtagen Kopien aller Registerinhalte übernimmt. Dies wäre datenschutzrechtlich nicht
akzeptabel.
Schon nach der bisherigen Fassung des Bundesarchivgesetzes (BArchG) war die Übernahme von digitalen Datenträgern („maschinell lesbare Datenträger“ nach § 2
Absatz 5 Satz 2 BArchG) ausdrücklich vorgesehen. Dies
ist etwa bei elektronischen Akten auch kein Problem,
wenn dafür die bei traditionellen Akten verwendeten Verfahren angewandt werden. Die archivrechtliche Besonderheit der fortlaufend aktualisierten Register und sonstigen digitalen Dateien besteht nun darin, dass der
archivrechtlich traditionell vorgegebene Archivierungszeitpunkt, der Zeitpunkt also, an dem die Unterlagen zur
Erfüllung der behördlichen Aufgaben nicht mehr benötigt
werden (§ 2 Absatz 1 Satz 1 BArchG), niemals eintritt.
Diese Dateien werden laufend aktualisiert, also neue Bestände hinzugefügt und alte gelöscht. Sie werden zur Aufgabenerfüllung ständig benötigt. Die Vertreter der
Archive halten es für fachlich geboten, diese Aufzeichnungen in Querschnittsproben der Nachwelt, insbesondere für wissenschaftliche Untersuchungen, zu erhalten.
Hiergegen habe ich massive Bedenken. Die Register und
Dateien enthalten sehr sensible persönliche Daten. Die
Eintragungen unterliegen deshalb strikten Löschungsregelungen. Auch wenn ich den Wert von Kopien als
„Momentaufnahmen“ bestimmter Register für die historischen Sozialwissenschaften durchaus nachvollziehen
kann, halte ich es verfassungsrechtlich für unabdingbar,
auch die schutzwürdigen Belange der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Abwägung erübrigt sich auch nicht dadurch, dass die in das Bundesarchiv überführten Kopien
erst jeweils 30 Jahre nach dem Tode der Betroffenen genutzt werden sollen. Denn die Kopien betreffen ja
zunächst lebende Personen. Ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch die (zusätzliche)
Speicherung der sensiblen Registereintragungen im Bundesarchiv beeinträchtigt, selbst wenn diese dort so gespei-

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

chert werden, dass sie nicht ohne weiteres miteinander
verknüpft werden können.
Jede Vervielfältigung und Übermittlung personenbezogener Daten stellt für sich genommen bereits einen Eingriff
in das Grundrecht dar, der aus meiner Sicht auch durch
das wissenschaftliche Interesse nicht zu rechtfertigen ist.
Im Übrigen würde durch diese Form der Archivierung die
auch in dem Referentenentwurf des BKM enthaltene datenschutzrechtliche Grundregel unterlaufen, dass Rechtsvorschriften über die Verpflichtung zur Vernichtung von
Unterlagen der Archivierung vorgehen.
Es müssen also Lösungen gefunden werden, die sowohl
archiv- als auch datenschutzrechtlichen Positionen gerecht werden. Eine vollständige, ungeprüfte Übernahme
der Daten aus fortlaufend aktualisierten Registern lehne
ich ab.
5.7

Zentrale Einlader- und Warndatei

Die Errichtung einer zentralen Datei zur Speicherung
von Einlader- und Warndaten zur Bekämpfung von Visumsmissbrauch begegnet starken datenschutzrechtlichen
Bedenken.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD
von 2005 spricht sich dafür aus, das europäische Visa-Informationssystem (VIS, vgl. dazu Nr. 16.2) als so genannte „Warndatei“ auszugestalten. Es solle eine nationale Warndatei geschaffen werden, falls diese
Bemühungen nicht erfolgreich sein sollten. Nachdem sich
die Bundesregierung im Hinblick auf den Umfang der
Warndaten – das VIS sieht keine vom Visum-Antrag losgelösten Speicheranlässe vor – nicht durchsetzen konnte,
wird seit geraumer Zeit an der Ausgestaltung einer nationalen „Einlader- und Warndatei“ gearbeitet.
Ein entsprechender Gesetzentwurf des BMI sah vor, neben Daten von Personen, die bestimmte Straftaten begangen haben, auch die Daten zu sämtlichen Einladern,
Verpflichtungsgebern und sonstigen Bestätigenden (natürliche Personen und Organisationen) im Ausländerzentralregister zu speichern. Ganz überwiegend würden nach
diesem Modell Daten über Menschen gespeichert, über
die keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Handeln vorliegen. Zu den zu speichernden Daten
zählen u. a. Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit
und – soweit vorhanden – Lichtbild sowie Angaben zur
Beziehung zum Visum-Antragsteller. Zugriffsrechte auf
die Einlader- und Warndaten sollen neben den Ausländerbehörden und den Auslandsvertretungen einer großen
Anzahl von Stellen, insbesondere der Polizei und Nachrichtendiensten eingeräumt werden.
Diese Planungen sehe ich insgesamt sehr kritisch. Insbesondere die vorgesehene umfassende Speicherung der
Einladerdaten wäre bedenklich. Denn mit der Erfassung
von Einladern, Verpflichtungsgebern und sonstigen Bestätigenden geht die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten zumeist völlig unverdächtiger Personen einher. Diese weit in das Vorfeld der Gefahrenabwehr
hinein vorverlagerte Datenspeicherung würde einen gravierenden Eingriff in das Recht auf informationelle

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