Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

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Drucksache 16/12600

(7) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch die Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem
Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Soweit möglich, ist technisch
sicherzustellen, dass Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, nicht erhoben werden. Erhobene Daten sind unter der Sachleitung des anordnenden Gerichts nach Absatz 5 unverzüglich vom Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes und zwei weiteren Bediensteten des Bundeskriminalamtes, von denen einer die Befähigung zum Richteramt hat, auf kernbereichsrelevante Inhalte durchzusehen. Der Datenschutzbeauftragte ist bei
Ausübung dieser Tätigkeit weisungsfrei und darf deswegen nicht benachteiligt werden (§ 4f Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes). Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, dürfen nicht verwertet werden
und sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren.
Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen,
wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr
der Dokumentation folgt.

4.1.3

Online-Durchsuchungen durch
Nachrichtendienste

Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (s. o.
Nr. 4.1) gelten auch für Nachrichtendienste. OnlineDurchsuchungen ohne gesetzliche Grundlage sind rechtswidrig.
Nachrichtendienste sind weitgehend im „Vorfeldstadium“
tätig, in dem noch keine konkreten Gefahren erkennbar
sind. Innerhalb ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben
beobachten sie Vorgänge und Verhaltensweisen, sofern
ein tatsächlicher Anhaltspunkt für ihre Zuständigkeit besteht. Diese Schwelle ist vergleichsweise niedrig. Oftmals
ist dieser Anhaltspunkt diffus, d. h. er kann auf den Beginn einer möglichen Gefahrenlage hindeuten oder in
harmlosen Zusammenhängen verbleiben. Dies hat zur
Folge, dass auch vollkommen unbescholtene Bürgerinnen
und Bürger in den Fokus der Nachrichtendienste geraten
können. Im Gegensatz zur Polizei ist die Tätigkeit der
Nachrichtendienste im Regelfall gerichtlich nicht kontrollierbar.
Die Bundesregierung hatte die Befugnis der Nachrichtendienste zur Durchführung von Online-Durchsuchungen
auf § 8 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Bundesverfassungsschutzgesetz i. V. m. einer entsprechenden
Dienstvorschrift gestützt. Die Durchführung von OnlineDurchsuchungen auf dieser Basis ist nach der Entscheidung des BVerfG vom 27. Februar 2008 unzulässig. Auch
die Nachrichtendienste dürfen Online-Durchsuchungen
nur durchführen, soweit sie dazu ausdrücklich gesetzlich
ermächtigt sind. Die gesetzliche Grundlage muss den verfahrensrechtlichen Vorgaben entsprechen. Dabei ist zu
beachten, dass eine Online-Durchsuchung nur unter sehr
engen Voraussetzungen durchgeführt werden darf. So
darf den Nachrichtendiensten eine Befugnis zur OnlineDurchsuchung nicht auf der Grundlage ihrer ansonsten
zulässigen Tätigkeitsschwelle gewährt werden. Soweit
den Nachrichtendiensten eine Befugnis zur OnlineDurchsuchung eingeräumt werden soll, müssen nach der
ausdrücklichen Vorgabe des BVerfG vielmehr für die
Nachrichtendienste zugeschnittene gesetzliche Voraussetzungen für den Eingriffsanlass entwickelt werden, die
dem Gewicht und der Intensität der Grundrechtsgefährdung in vergleichbarem Maße Rechnung tragen, wie es
der im Polizeirecht verwendete Gefahrenbegriff leistet.

Es ist zumindest fraglich, ob die Normierung einer
Online-Durchsuchungsbefugnis zugunsten der Nachrichtendienste unter diesen Voraussetzungen überhaupt zulässig sein kann oder diese Befugnis allenfalls der Polizei
vorbehalten bleiben muss, deren Tätigkeit im Übrigen gerichtlich kontrollierbar ist.
4.2

Veränderungen der Sicherheitsarchitektur des Bundes

Die Bundesregierung arbeitet weiter am Aus- und Umbau
der Sicherheitsarchitektur von Polizeibehörden und
Nachrichtendiensten.
Mit dem im Dezember 2006 vom Deutschen Bundestag
verabschiedeten Gemeinsame-Dateien-Gesetz und dem
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz wurden bereits wesentliche gesetzliche Grundlagen für eine neue Sicherheitsarchitektur (vgl. 21. TB Nr. 5.1) geschaffen.
Zentrale Elemente dieser neuen Sicherheitsarchitektur
sind z. B. die Aufnahme des Wirkbetriebs der Anti-Terror-Datei im März 2007 (s. u. Nr. 4.2.2.2), des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums – GTAZ – (vgl. 21. TB
Nr. 5.1.4), des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums Illegale Migration – GASIM – (s. u. Nr. 4.2.3), des
seit Beginn des Jahres 2007 betriebenen Gemeinsamen
Internet-Zentrums – GIZ – sowie die Einrichtung weiterer
verschiedener behördenübergreifender Informations- und
Kooperationsformen.
Das Reformkonzept erstreckt sich auch auf die Weiterentwicklung der IT-gestützten Datenverarbeitung der Sicherheitsbehörden. So sind sowohl bei der technischen Infrastruktur der Polizeibehörden als auch im Bereich der
Nachrichtendienste Entwicklungen zu beobachten, die
darauf abzielen, alle bei den Sicherheitsbehörden vorhandenen Erkenntnisse nicht nur für die jeweilige Behörde,
sondern auch für den Verbund der Sicherheitsbehörden
und damit umfassend nutzbar zu machen. Das BKA beginnt beispielsweise, seine IT-Landschaft zu vereinheitlichen und personenbezogene Erkenntnisse stärker zu verknüpfen (s. u. Nr. 4.2.4). Bei den Nachrichtendiensten
erfolgt eine Abkehr vom bisherigen Prinzip „Need to
know“ („Kenntnis nur wenn nötig“) zum Prinzip „Need
to share“, wogegen im Hinblick auf den datenschutzrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatz erhebliche Bedenken bestehen. Zudem soll das nachrichtendienstliche In-

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

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