Drucksache 16/12600
– 32 –
Es gilt, den in § 3a BDSG bereits verankerten Grundsatz
von der Datenvermeidung endlich ernst zu nehmen, und
zwar im öffentlichen Bereich gleichermaßen wie bei den
Unternehmen. Bereits beim Design technischer Systeme,
bei der Verfügbarkeit und dem Umgang mit Daten, muss
stärker nach den Auswirkungen auf das menschliche Miteinander gefragt werden. Hard- und Software müssen so
gestaltet werden, dass in ihnen von vornherein der Datenschutz integriert ist. Bereits an dieser Stelle müssen datenschutzrechtliche Prinzipien wie Datenvermeidung,
Datensparsamkeit, Transparenz und frühest mögliche Löschung der Daten einfließen.
3.2
Telekommunikations- und Teledienste
3.2.1
Vorratsdatenspeicherung: Das Bundesverfassungsgericht hat das letzte Wort
Die zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene gesetzliche
Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung musste sogleich auf den Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts
(s. Kasten zu Nr. 3.2.1).
Bereits in meinem 21. TB (Nr. 10.1) hatte ich über die
EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (RL 2006/24/EG
vom 15. März 2006) berichtet. Parallel zur mittlerweile
erfolgten Verabschiedung des die Richtlinie umsetzenden
Gesetzes hat es massive öffentliche Kritik gegeben. So
wurden gleich mehrere Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, unter ihnen eine „Massenverfassungsbeschwerde“, an der sich ca. 34 000 Bürgerinnen
und Bürger beteiligten.
K a s t e n zu Nr. 3.2.1
Vorratsdatenspeicherung
Seit dem 1. Januar 2008 sind Telekommunikationsunternehmen in Deutschland nach §§ 113a, 113b TKG gesetzlich verpflichtet, die Verkehrsdaten ihrer Kunden für
einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern und bei
Bedarf den Strafverfolgungsbehörden, den Polizeibehörden für präventiv-polizeiliche Aufgaben sowie den
Nachrichtendiensten zur Verfügung zu stellen, soweit
diese über entsprechende bundes- bzw. landesgesetzliche Auskunftsbefugnisse verfügen. Für sechs Monate
gespeichert werden unter anderem die Rufnummern des
anrufenden und des angerufenen Anschlusses, Beginn
und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit sowie die Funkzellen, in denen sich die Gesprächspartner
bei Beginn eines über Handy geführten Gespräches aufhalten. Ab dem 1. Januar 2009 müssen auch die bei der
Internet- und E-Mail-Nutzung anfallenden Daten (insbesondere die IP-Adressen – vgl. hierzu auch Nummer 7.11) entsprechend vorgehalten werden. Im bundesweit geltenden § 100g StPO und einigen wenigen landesgesetzlichen Regelungen in den Polizeigesetzen von
Bayern und Thüringen sowie im bayerischen Verfassungsschutzgesetz finden sich mittlerweile auch einige
gesetzliche Ermächtigungen, wie sie in § 113b TKG für
den Abruf von Verkehrsdaten vorausgesetzt werden.
BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
In meiner vom BVerfG erbetenen Stellungnahme zu den
Verfassungsbeschwerden habe ich meine verfassungsrechtlichen Bedenken unterstrichen. Ich halte die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig, da sie eine Verpflichtung zur Datenspeicherung
begründet, die weit überwiegend Personen trifft, die keinerlei zurechenbare Veranlassung für diesen Eingriff in
ihr Grundrecht aus Artikel 10 GG (Fernmeldegeheimnis)
sowie in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben haben.
Zweifel bestehen bereits im Hinblick auf die Geeignetheit. Insbesondere ist die als Hauptzweck angestrebte
Verbesserung der Verfolgung von Straftaten im Bereich
des Terrorismus und der organisierten Kriminalität fraglich. Die Tätergruppen in diesen Bereichen zeichnen sich
in der Regel durch besonders gute Kenntnisse der elektronischen Kommunikation, professionelle Abschottung und
Verschleierung der eigenen Kommunikation aus. Sie haben vielfältige Möglichkeiten, um die Vorratsdatenspeicherung zu umgehen und die Spuren bei der Tatvorbereitung und Tatausführung zu verwischen.
Gravierende Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der
Regelung ergeben sich auch unter dem Gesichtspunkt der
Angemessenheit. Hier wird gleich an mehreren Stellen
deutlich, dass die Vorratsdatenspeicherung massive, letztlich nicht zu rechtfertigende Eingriffe in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis und das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung mit sich bringt. Mit
der Vorratsdatenspeicherung wird jeder Nutzer von Telekommunikation und somit durchweg jede Bürgerin und
jeder Bürger unter einen Generalverdacht gestellt. Der
Grundsatz, dass intensive Grundrechtseingriffe stets an
bestimmte, hinreichend konkrete Verdachts- oder Gefahrenstufen anknüpfen müssen, wird vollständig außer Acht
gelassen. Statt dessen wird – unabhängig vom Vorliegen
irgendeiner Gefahrenschwelle – anlass- und verdachtslos
ein Grundrechtseingriff „ins Blaue hinein“ durchgeführt.
Die einzelnen Telekommunikationsnutzer müssen ständig
mit der Besorgnis leben, ihr gegenwärtiges und künftiges
Kommunikationsverhalten könne jederzeit gegen sie verwendet werden, was wiederum zu einer ängstlich anpassenden Verhaltensänderung bei der Nutzung von Telekommunikationsmitteln und im Extremfall sogar zum
gänzlichen Verzicht auf Kommunikation führen kann.
Bereits im Volkszählungsurteil (1 BvR 209, 269, 362,
420, 440, 484/83) hat das BVerfG im Hinblick auf ein
solches Szenario ausgeführt, dass eine staatliche Datenerhebung und -verarbeitung ohne hinreichend konkreten
Anlass, die dazu führt, dass der Bürger keine Kenntnis
mehr hat, wer, was, wann, bei welcher Gelegenheit über
ihn weiß, im Ergebnis zu einer Einschüchterung des Bürgers bei der Ausübung seiner kommunikativen Grundrechte und damit zu einer Verkümmerung der gelebten
Demokratie führen kann.
Durch die Speicherung von Verkehrsdaten werden Rückschlüsse auf Verhaltensweisen und Interessen des einzelnen Nutzers von Kommunikationsdiensten ermöglicht.
So werden auch Anrufe bei Beratungsstellen oder Berufsgeheimnisträgern registriert. Mit Hilfe der Standortdaten
der Funkzelle, in der sich der mobil Telefonierende bei
Gesprächsbeginn aufhält, kann regelmäßig eine Lokali-