Drucksache 16/12600

– 146 –

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

K a s t e n zu Nr. 15.3
Aus dem Festvortrag von Herrn Professor Dr. Papier anlässlich der Veranstaltung zum 25. Jahrestag der Verkündung des Volkszählungsurteils
… Die Privatisierung der Informationstechnologie hat im Zusammenwirken mit der Globalisierung die Zahl potentieller „Big Brother“ so unübersichtlich werden lassen, dass aus datenschutzrechtlicher Sicht anarchische Zustände
eher zu drohen scheinen als ein totalitärer Überwachungsstaat. …
… Lassen Sie mich zu einer weiteren Entwicklungslinie kommen, die allerdings dem staatlichen Datenschutz zu
widersprechen scheint: Sie beruht auf dem „Konzept der informierten Öffentlichkeit“. In Verfolgung dieses Konzepts
wurde in den letzten Jahren mit der deutschen Arkantradition gebrochen, nach der Behördenakten – außer für die Beteiligten – grundsätzlich der Geheimhaltung unterlagen. Nun gibt es auf Bundes- oder Landesebene Gesetze, die jedermann den Zugang zu Umweltinformationen, zu gesundheitsbezogenen Verbraucherinformationen oder allgemein
zu jeder amtlichen Information gewährleisten. … Das „Konzept der informierten Öffentlichkeit“ … zielt vielmehr
darauf ab, die „res publica“ Wirklichkeit werden zu lassen, dass heißt, durch mehr Transparenz der Verwaltung und
einen verbesserten Informationszugang der Bürger den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu
stärken. Damit korrespondiert das Informationszugangsrecht für Jedermann – jedenfalls auf einer abstrakten Ebene –
mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wie bereits erwähnt, hat ja gerade auch das „Volkszählungsurteil“ den Zusammenhang zwischen Datenschutz und Ausübung demokratischer Freiheitsrechte deutlich aufgezeigt. …
… Damit steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Vergleich zur Zeit des „Volkszählungsurteils“ vor
neuen Herausforderungen. Sie haben ihren Grund allerdings nicht nur in der Art der drohenden Gefahren, sondern
auch in den revolutionären Veränderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Es ist dabei anzuerkennen, dass der Staat – schon um seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit zu genügen – diese technischen Veränderungen bei der Gefahrenbekämpfung und Verfolgung von Straftaten nicht unberücksichtigt lassen kann. Gleichwohl dürfen bei der Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit die Gewichte nicht
grundlegend verschoben werden. …
… Zum 25. Jahrestag des „Volkszählungsurteils“ sorge ich mich jedenfalls mehr davor, dass wir uns zu einer privaten
Überwachungsgesellschaft internationalen Ausmaßes verwandeln, und dies weitgehend auch noch völlig freiwillig. …
… Würden alle diese irgendwo auf der Welt über uns gespeicherten Informationen zusammengeführt, ließe sich sehr
leicht ein „Persönlichkeitsprofil“ von jedem von uns erstellen. Dadurch würde der im „Volkszählungsurteil“ für unzulässig befundene „Super-Gau des Datenschutzes“ Wirklichkeit werden, allerdings herbeigeführt durch die Hände Privater. …
… Denn die genannten Grundrechte verpflichten den Staat, im Ausgleich mit konkurrierenden Freiheitsrechten ein
angemessenes Schutzregime zu schaffen und durchzusetzen sowie sich auf internationaler Ebene für ein solches Regime einzusetzen. Dabei wird sich der Staat häufig nicht mit bloßen Selbstverpflichtungen Privater begnügen dürfen,
sondern wird selbst eine verbindliche Ordnung konstituieren müssen, um der grundrechtlichen Werteordnung auch
im Privatrechtsverkehr Geltung zu verschaffen. Die nun von der Bundesregierung geplante Einführung des Einwilligungsprinzips für den Datenhandel sowie eines – allerdings freiwilligen – Datenschutzauditverfahrens mit Gütesiegel
scheinen daher nahezu geboten zu sein, um dem objektiven Gehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
endlich auch im privaten Bereich hinreichend Rechnung zu tragen.

15.4

Bad Godesberger Symposien zum
Datenschutz in der Telekommunikation
und im Internet

Die Reihe der Herbstsymposien des BfDI wurde fortgesetzt.
Die Funktion der Suchmaschinen als digitale Gatekeeper,
also „Torhüter“ der digitalen Welt, und damit ihre zugangssteuernde und potentiell meinungslenkende Wirkung beleuchtete der Leipziger Medienwissenschaftler
Professor Marcel Machill beim VIII. Symposium im
November 2007. Für ein Impulsreferat zur OnlineDurchsuchung konnte der frühere Bundesinnenminister
Gerhard Rudolf Baum gewonnen werden, der vor dem

BfDI 22. Tätigkeitsbericht 2007-2008

Bundesverfassungsgericht erfolgreich die Regelung der
Online-Durchsuchung im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz angegriffen und damit eine der
grundlegenden Karlsruher Entscheidungen zur Fortbildung des Datenschutzrechtes angestoßen hat (s. hierzu
u. a. Nr. 2.1, 4.1 ff.). Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Entwicklung und der Herausbildung neuer
Grundrechte griffen der Hessische Datenschutzbeauftragte Professor Michael Ronellenfitsch und Dr. Klaus
Abmeier aus dem Bundesministerium der Justiz in ihren
Referaten auf.
Ich habe beim VIII. Symposium auf die Bedrohung der
Privatsphäre hingewiesen, die exemplarisch durch die
Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung, die

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