Drucksache 19/10459
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Nachrichtendienste des Bundes einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene. Der Kommission und ihren Mitarbeitern ist dabei insbesondere Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen, Einsicht in alle
Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren,
die im Zusammenhang mit der Beschränkungsmaßnahme stehen, und jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu
gewähren. Über Übermittlungen des Bundesnachrichtendienstes an ausländische öffentliche Stellen gemäß
§ 7a G 10 wird die Kommission vom zuständigen Bundesministerium monatlich unterrichtet.
Die Mitglieder der G 10-Kommission nehmen eine verantwortungsvolle quasi-richterliche Aufgabe wahr. Ihre
Prüfung tritt bis zur etwaigen Mitteilung einer Maßnahme an den Betroffenen an die Stelle des Rechtsweges.
Das Bundesverfassungsgericht führt diesbezüglich bereits in Leitsatz 4 seines Urteils vom 15. Dezember 1970
(2 BvF 1/69) aus, Artikel 10 Absatz 2 Satz 2 GG verlange, dass das Gesetz zu Artikel 10 GG eine Nachprüfung
vorsehen müsse, die materiell und verfahrensmäßig der gerichtlichen Kontrolle gleichwertig sei, auch wenn der
Betroffene keine Gelegenheit habe, in diesem „Ersatzverfahren“ mitzuwirken. In seinem Beschluss vom 13. Juli
1993 (1 BvR 1016/93) betont das Bundesverfassungsgericht zudem, dass die G 10-Kommission ein Kontrollorgan eigener Art außerhalb der rechtsprechenden Gewalt sei, das als Ersatz gerade für den fehlenden gerichtlichen
Rechtsschutz diene. In seinem Beschluss vom 20. September 2016 führt das Bundesverfassungsgericht darüber
hinaus aus, dass die G 10-Kommission durch die Entscheidung über Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen im „Funktionsbereich der Exekutive“, mithin im „operativen“ Bereich tätig werde. Sie
diene als eine „neutrale Instanz“, „der Einbindung der Exekutive“ und der „kompensatorischen Repräsentation“
der Interessen des Betroffenen durch eine laufende und umfassende Rechtskontrolle (2 BvE 5/15, Rn. 54). Die
Aufgabe der G 10-Kommission findet damit staatsrechtlich zwar außerhalb der rechtsprechenden Gewalt „im
Funktionsbereich der Exekutive“ statt, ohne jedoch „in diese inkorporiert“ zu sein (2 BvE 5/15, Rn. 41).
Die Kontrollfunktion der G 10-Kommission erstreckt sich in erster Linie auf die angeordneten, aber noch nicht
vollzogenen Beschränkungsmaßnahmen, die sie zu genehmigen oder abzulehnen hat. Die Kommission muss
insbesondere auch einer vorläufigen und endgültigen Nichtmitteilung der Maßnahme an die Betroffenen zustimmen. Damit ist die von der G 10-Kommission „ausgeübte Kontrolltätigkeit eine Kontrolle, welche die Rechtmäßigkeit heimlicher staatlicher Überwachungsmaßnahmen prozedural absichert“ (2 BvE 5/15, Rn. 57).
Im Rahmen ihrer monatlichen Sitzungen erörterte die G 10-Kommission alle im Berichtszeitraum zur Entscheidung anstehenden Beschränkungsmaßnahmen nach Einsichtnahme in die betreffenden Originalakten mit den
von ihr beauftragten Mitarbeitern ihrer Geschäftsstelle sowie nach ausführlicher Unterrichtung durch die in der
Sitzung anwesenden Mitarbeiter der beantragenden Nachrichtendienste, der betroffenen Ministerien und des
Bundeskanzleramtes und genehmigte, ergänzte bzw. verlängerte sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Die Kommission führte regelmäßig bei den Nachrichtendiensten Informations- und Kontrollbesuche
durch, um die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu überprüfen und sich über aktuelle technische Neuerungen zu informieren. In einem Fall führte die Kommission gleichzeitig mit der Bundesbeauftragten für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) im Berichtszeitraum eine Prüfung der Anti-Terror-Datei (ATD)
beim BfV durch. Ferner entschied die Kommission im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags auf Grund von Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen und setzte die Beschwerdeführer über das Ergebnis ihrer Entscheidung in Kenntnis. In Gesprächen mit
Mitgliedern entsprechender ausländischer Gremien informierte sich die Kommission über deren jeweilige Organisation und rechtlichen Rahmenbedingungen und tauschte sich über praktische Fragen ihrer Kontrolltätigkeit
aus.
III. Beschränkungen in Einzelfällen nach § 3 G 10
1.
Allgemeine Voraussetzungen
Gemäß § 3 Absatz 1 G 10 dürfen Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 G 10 in Einzelfällen (sogenannte Individualmaßnahmen) unter den dort bezeichneten Voraussetzungen angeordnet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand
1.
Straftaten des Friedensverrats oder des Hochverrats (§§ 80 bis 83 des Strafgesetzbuches),
2.
Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 bis 86, 87 bis 89b, 89c Absatz 1 bis 4
des Strafgesetzbuches, § 20 Absatz 1 Nummer 1 bis 4 des Vereinsgesetzes),
3.
Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 94 bis 96, 97a bis 100a des
Strafgesetzbuches),