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K a s t e n zu Nr. 5.1.2
Entschließung der 72. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 26. bis
27. Oktober 2006 in Naumburg
Das Gewicht der Freiheit beim Kampf gegen den
Terrorismus
Seit dem 11. September 2001 wandelt sich der Staat immer mehr zu einem Präventionsstaat, der sich nicht darauf beschränkt, Straftaten zu verfolgen und konkrete
Gefahren abzuwehren. Der Staat verlagert seine Aktivitäten zunehmend in das Vorfeld der Gefahrenabwehr.
Sicherheitsbehörden gehen der abstrakten Möglichkeit
von noch nicht einmal geplanten Taten nach. Immer
mehr Daten werden auf Vorrat gesammelt und damit
eine Vielzahl unverdächtiger Menschen erfasst. Auch
unbescholtene Bürgerinnen und Bürger werden als Risikofaktoren behandelt, ohne dass diese dafür Anlass gegeben haben. Dieses neue Verständnis von innerer Sicherheit führt zu gravierenden Einschränkungen der
Freiheitsrechte. Beispiele sind die von der Europäischen
Union beschlossene Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten oder die im Jahr 2002 verfassungswidrig durchgeführten Rasterfahndungen.
In diesem Zusammenhang ist auch der „Entwurf eines
Gesetzes zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ kritisch zu bewerten. Die ursprünglich zur
Terrorismusbekämpfung geschaffenen Befugnisse werden immer weiter ausgedehnt und nicht mehr nur auf
Terrorverdächtige beschränkt.
Bei allen Gesetzen und Maßnahmen zur Terrorbekämpfung stellt sich die Frage nach deren Eignung und Verhältnismäßigkeit. Mehr Überwachung führt nicht automatisch zu mehr Sicherheit, aber stets zu weniger
Freiheit. Es gibt keine absolute Sicherheit.
Die verfassungsrechtlich notwendige wissenschaftliche
Evaluation der bisherigen Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung durch eine unabhängige Stelle fehlt bislang. Der „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ ist keine
vollwertige Evaluation der bisherigen Vorschriften. Damit steht sowohl die Notwendigkeit einer Verlängerung
als auch die Erforderlichkeit der Schaffung neuer Befugnisse in Zweifel.
Zunehmende Befugnisse verlangen nach zusätzlichen
Kontrollen. Daher ist es unerlässlich, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Befugnissen der Sicherheitsbehörden und den Kompetenzen der Kontrollorgane zu schaffen. Insbesondere müssen die
Handlungsmöglichkeiten der parlamentarischen Kontrollorgane entsprechend ausgestaltet sein.
5.1.3

Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden im Internet

Seit 1998 führt das BKA anlassunabhängige Recherchen
im Internet durch. Wegen der aktuellen Bedrohung durch
den internationalen Terrorismus sollen diese Ermittlun-

gen bis hin zur Möglichkeit der sog. „Online-Durchsuchung“ von Computern ausgeweitet werden.
Durch Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) ist im
November 1998 das BKA als zentrale Stelle für das gesamte Bundesgebiet mit der Durchführung anlassunabhängiger Recherchen im Internet und der Weiterleitung
daraus gewonnener Erkenntnisse an die zuständigen
Strafverfolgungsbehörden beauftragt worden (vgl. 18. TB
Nr. 11.8.). Die Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden soll nun erheblich erweitert werden. So sollen die Ergebnisse der mittlerweile auch in einigen LKA eingerichteten Recherchedienststellen in einer beim BKA
geführten Indexdatei gebündelt werden. Weiter beabsichtigt das BMI, Anfang des Jahres 2007 ein gemeinsames
Internetzentrum in Berlin zu errichten, in dem Vertreter
von BKA, BfV, BND, MAD und des Generalbundesanwalts im Rahmen der Bekämpfung des islamistischen
Terrorismus gemeinsam Informationen durch Beobachtung einschlägiger Websites beschaffen und auswerten
sollen.
Zudem werden im Rahmen eines Projekts beim BKA die
technischen Voraussetzungen für die Durchführung sog.
„Online-Durchsuchungen“ entwickelt. Hierunter wird die
Suche nach verfahrensrelevanten Inhalten auf Datenträgern verstanden, die sich nicht im direkten physikalischen
Zugriff der Strafverfolgungsbehörden befinden, sondern
nur verdeckt über Kommunikationsnetze mittels spezieller Computerprogramme erreichbar sind.
Gegen eine anlassunabhängige Recherche des BKA und
anderer Sicherheitsbehörden im Internet bestehen keine
grundlegenden datenschutzrechtlichen Bedenken, soweit
dabei in frei zugänglichen, aber gleichwohl einschlägigen
Bereichen des Internets „gesurft“ wird. Inwieweit auch
das gemeinsame Internetzentrum unter diesen Bedingungen tätig wird und ob bei der Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Nachrichtendiensten die geltenden Übermittlungsregelungen beachtet werden, bedarf noch der Überprüfung.
Eine gänzlich andere Qualität erhält die Internet-Recherche jedoch, wenn sie in Form der heimlichen „Online-Durchsuchung“ von Computern durchgeführt wird.
Nach Mitteilung der Bundesregierung wird die „Online-Durchsuchung“ derzeit nur zu repressiven Zwecken
praktiziert. Grundlage hierfür sollen die strafprozessualen
Vorschriften über die Durchsuchung gemäß §§ 102 ff.
StPO bilden. Da die Durchsuchung jedoch eine offene
Maßnahme ist, die in Anwesenheit des Betroffenen, von
Zeugen oder Dritten durchgeführt wird, halte ich es nicht
für vertretbar, die genannten Regelungen der StPO als
Rechtsgrundlage hierfür heranzuziehen. Erst jüngst hat
der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. Januar 2007 (Az.: StB 18/06) entschieden, dass für die verdeckte Online-Durchsuchung in der StPO keine Rechtsgrundlage besteht.
Zur Verhütung von Straftaten und damit zu präventiven
Zwecken ist die „Online-Durchsuchung“ nach geltendem
Recht weder für die Polizeibehörden des Bundes noch für

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BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

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