Das Zitiergebot erfüllt eine Warn- und Besinnungsfunktion (vgl. BVerfGE 64, 72
<79 f.>). Durch die Benennung des Eingriffs im Gesetzeswortlaut soll gesichert werden, dass der Gesetzgeber nur Eingriffe vornimmt, die ihm als solche bewusst sind
und über deren Auswirkungen auf die betroffenen Grundrechte er sich Rechenschaft
ablegt (vgl. BVerfGE 5, 13 <16>; 85, 386 <404>). Die ausdrückliche Benennung erleichert es auch, die Notwendigkeit und das Ausmaß des beabsichtigten Grundrechtseingriffs in öffentlicher Debatte zu klären. Diese Warn- und Besinnungsfunktion betrifft nicht nur eine erstmalige Grundrechtseinschränkung, sondern wird bei jeder
Veränderung der Eingriffsvoraussetzungen bedeutsam, die zu neuen Grundrechtseinschränkungen führt.
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Der gesetzliche Hinweis auf die Grundrechtseinschränkung war vorliegend nicht
entbehrlich. Zwar enthielt bereits § 10 NGefAG einen Hinweis auf die Einschränkung
des Art. 10 Abs. 1 GG, der auch im Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung unverändert fortgilt. Die Benennung des eingeschränkten
Grundrechts im fortgeltenden Gesetz reichte aber nicht aus, da mit § 33a Nds.SOG
eine deutlich erweiterte Eingriffsgrundlage für eine präventive Telekommunikationsüberwachung durch die Polizei geschaffen wurde (vgl. LTDrucks 15/240, S. 15).
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Das Zitiererfordernis entfällt nicht im Hinblick auf den Hinweis in der Gesetzesbegründung (LTDrucks 15/240, S. 15), der Gesetzgeber sei sich der Einschränkung des
Fernmeldegeheimnisses durch § 33a Nds.SOG bewusst gewesen und davon ausgegangen, dass dem Zitiergebot durch die bestehende Regelung des § 10 NGefAG
(jetzt § 10 Nds.SOG) entsprochen werde. Ein bloßer Hinweis in der Gesetzesbegründung genügt dem Formerfordernis des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht. Im Übrigen ist
die im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehene Regelung später nach Befassung
des Landtagsausschusses für Inneres und Sport deutlich verschärft und die Zitierproblematik ist in den Gesetzesmaterialien nicht erneut thematisiert worden.
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bb) Allerdings bleibt die Nichtbeachtung des Zitiergebots für die Wirksamkeit des
angegriffenen Gesetzes ohne Konsequenzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte
bisher nicht geklärt, ob es in den Fällen, in denen das ändernde Gesetz zu neuen
Grundrechtseinschränkungen führt oder ermächtigt, den Anforderungen des Art. 19
Abs. 1 Satz 2 GG genügt, wenn das geänderte Gesetz bereits eine Zitiervorschrift im
Sinne dieser Bestimmung enthält. In der Folge hat sich hierzu eine unterschiedliche
Praxis in der Gesetzgebung herausgebildet. Aus Gründen der Rechtssicherheit führt
die Nichtbeachtung des Zitiergebots erst bei solchen grundrechtseinschränkenden
Änderungsgesetzen zur Nichtigkeit, die nach dem Zeitpunkt der Verkündung dieser
Entscheidung beschlossen werden.
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b) Das Land Niedersachsen hatte nur für einen Teil der angegriffenen Regelungen
eine Gesetzgebungskompetenz.
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Nach Art. 70 Abs. 1 GG verfügen die Länder über das Recht der Gesetzgebung, soweit die Gesetzgebungsbefugnis nicht dem Bund zugewiesen ist. Zwar ist die präventive Telekommunikationsüberwachung nicht der ausschließlichen Kompetenz des
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