Drucksache 14/5555
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derliche Technik immer leistungsfähiger, immer kleiner
und billiger wird. Seitdem die Digitalisierung auch hier
Einzug gehalten hat, scheinen die Möglichkeiten beim
Einsatz der Videoüberwachung schier unbegrenzt. So
werden bereits neben digitalen Gesichtserkennungssystemen auch Systeme entwickelt, die „normales“ von „verdächtigem“ Verhalten unterscheiden sollen.
Im Berichtszeitraum hat es eine sehr rege öffentliche Diskussion um die Videoüberwachung im öffentlichen Raum
gegeben, bei der allerdings die Wogen der Auseinandersetzung zeitweise sehr hoch gingen – von der Videoüberwachung als eine Art Allheilmittel im Kampf gegen die
Kriminalität bis hin zu ihrer Verteufelung. Wenn jetzt
auch endlich Schluss ist mit dieser Polarisierung, so besteht doch noch kein Anlass für eine Entwarnung.
Tatsache ist, dass die Bürger aufgrund des zunehmenden
Einsatzes von Videotechnik immer mehr damit rechnen müssen, dass sie offen oder heimlich von einer Videokamera aufgenommen werden. Da eine Videokamera
alle Personen erfasst, die in ihren Bereich gelangen, werden von der Videoüberwachung in unvermeidbarer Weise
auch völlig unverdächtige Menschen mit ihren individuellen Verhaltensweisen betroffen. Die daraus resultierende Ungewissheit, ob und von wem man beobachtet wird und zu welchen Zwecken dies geschieht,
kann einen latenten Anpassungsdruck erzeugen. Damit
sage ich nicht, dass Videobeobachtung und -überwachung
grundsätzlich von Übel sind. Der Einsatz von Videotechnik an sog. Kriminalitätsschwerpunkten, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass auch künftig dort Straftaten begangen werden, ist sicherlich gerechtfertigt, soweit mit der
Beobachtung neben der Sicherung von Beweisen eine
Präventionswirkung erreicht werden kann (s. Nr. 12.3).
Die Grenzen von Videobeobachtung und -überwachung
müssen aber möglichst genau festgelegt werden. Erfreulicherweise gibt es einen breiten Konsens in Politik und Gesellschaft darüber, dass die Schaffung flächendeckender
Beobachtungsmöglichkeiten durch Videokameras zur
Verhinderung bloßer Störungen der öffentlichen Ordnung
mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren ist. Da der Ausbau der Videotechnik im öffentlichen wie auch im privaten Bereich offenkundig deutlich
fortschreitet, kommt es jetzt auf den genannten breiten
Konsens in Politik und Gesellschaft an, die bisherige allgemeine Diskussion im Kleinen und vor Ort, z. B. auf der
kommunalen Ebene fortzusetzen und dabei alle die
Punkte einzufordern, die unabdingbar für die Gewährleistung des Persönlichkeitsrechts Unbeteiligter sind. Meine
Länderkollegen und ich haben hierfür in einer Entschließung konkrete Forderungen gestellt (s. Anlage 20).
Hierzu gehören insbesondere, ein Höchstmaß an Transparenz zu schaffen und die Verarbeitung personenbezogener
Daten auf das Unvermeidliche zu reduzieren.
1.6
Veröffentlichung heimlicher
Bildaufnahmen unter Strafe stellen
Im Strafgesetzbuch finden sich zahlreiche Straftatbestände, die die Verletzung des persönlichen Lebens- und
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Geheimbereichs sanktionieren. So wird in § 201 StGB die
heimliche Aufnahme des nicht öffentlich gesprochenen
Wortes und dessen Veröffentlichung unter Strafe gestellt.
Vorschriften gegen das unbefugte Aufnehmen des Bildes
von Menschen und die Veröffentlichung solcher Aufnahmen existieren jedoch nicht. Dabei ermöglichen es vor allem die technischen Entwicklungen in der Videotechnik
und im Internet, Bilder von Menschen unbemerkt aufzunehmen und auch weltweit zu verbreiten, ohne dass der
Einzelne dies je wahrnimmt, geschweige denn seine Zustimmung geben könnte.
Vor diesem Hintergrund habe ich in letzter Zeit mit großer
Besorgnis immer öfter Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte von Bürgern festgestellt. So werden im Internet Fotos von Personen veröffentlicht, die weder von der Aufnahme noch von deren Veröffentlichung Kenntnis haben.
Dabei bewegen sich diese Personen nur zum Teil in der
Öffentlichkeit, zum Teil aber in Bereichen, wo sie sich bewusst der Öffentlichkeit entziehen wollen und deshalb
auch gar nicht mit der Aufnahme von Bildern rechnen
können oder müssen. Dazu zählen z. B. eine Privatwohnung, Umkleidekabinen in Schwimmbädern oder Geschäften. Es kann nicht angehen, dass so etwas weiterhin
straffrei ist. Dies bedarf aus meiner Sicht dringend einer
gesetzlichen Regelung. Es ist äußerst unbefriedigend,
wenn die Veröffentlichung von heimlichen Tonaufnahmen unter Strafe gestellt ist, während die mindestens einen ebenso tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte
darstellende Nutzung oder Veröffentlichung von heimlichen Bildaufnahmen nur dann strafbar ist, wenn sie in
Verbindung mit anderen Delikten steht. Für diese unterschiedliche Behandlung sehe ich gerade mit Blick auf die
modernen technischen Möglichkeiten keinen sachlichen
Grund.
Ich appelliere deshalb an den Gesetzgeber, im Strafgesetzbuch eine Regelung für die Fälle zu schaffen, in denen
mittels Bildaufnahme bzw. -veröffentlichung unbefugt in
den Kernbereich der Privatsphäre und in die Intimsphäre
eingegriffen wird (s. Nr. 6.13).
1.7
Keine Entschlüsselung
der Persönlichkeit
Bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms waren in den letzten Jahren bahnbrechende Fortschritte zu
verzeichnen. Bereits heute sind für bestimmte vererbliche
Krankheiten Gentests erhältlich, die eine Aussage darüber
treffen, ob eine Erkrankung vorliegt oder in welchem Umfang ein Erkrankungsrisiko besteht. Noch sind solche
Gentests lediglich Spezialisten mit besonderer Laborausstattung vorbehalten. Doch ist bereits in den USA der Prototyp eines handtellergroßen Minilabors vorgestellt
worden, das innerhalb kürzester Zeit einen Gentest durchführen kann.
Gentechnische Untersuchungen beim Menschen enthalten höchst persönliche Informationen in einem Maße, das
die Sensitivität bisheriger personenbezogener Informationen bei weitem übersteigt. Die Erkenntnisse der Genetik
werfen schwierige medizinische, ethische und rechtliche
Fragen auf.