Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

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den werden, jedenfalls sollten Offenlegung oder Geheimhaltung nicht das mehr oder minder zufällige
Nebenprodukt einer technischen Realisierung sein. Weil
die Umstellung unabhängig von der Wahl des Verfahrens
einen erheblichen Rationalisierungsvorteil verspricht, der
jedoch die Lösung einiger Organisationsprobleme voraussetzt, hat das Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen (s. o. Nr. 25.1.1) auch dies zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht.

25.2

Genomanalyse

Die Analyse des Genoms hat insbesondere das Ziel, aus
dem Erscheinungsbild des Genoms auf Eigenschaften des
Trägers dieses Genoms zu schließen. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich dann z. B. Pflanzen und
Tiere mit gewünschten Eigenschaften gezielt und schneller züchten, als das mit den klassischen Methoden des
Kreuzens und der erfolgsorientierten Auslese möglich ist.
Für die Probleme des Schutzes jener Daten, die aus der
Analyse des Genoms eines Menschen gewonnen werden
können, sind folgende Tatsachen von besonderer Bedeutung:
n

n

Abgesehen von seltenen Ausnahmen bei (krankhaft)
veränderten Zellen – beispielsweise bei krebsartigen
Wucherungen – haben alle Körperzellen eines Menschen dasselbe Genom wie die befruchtete Eizelle, aus
der dieser Mensch entstanden ist.
Das Genom leiblicher Kinder ist eine Kombination
aus je etwa der Hälfte des Genoms ihrer beiden Eltern.
Weil die beiden Hälften in jedem Einzelfall andere
Teile des Genoms der Eltern enthalten und weil die
Vielzahl der möglichen Konstellationen extrem groß
ist, haben nur eineiige Mehrlinge dasselbe Genom.

Daraus folgt u. a., dass man aus der Genomanalyse von
z. B. an einer Zigarettenkippe hinterlassenen Zellen (aus
dem Speichel) ein Muster erkennen kann, das nur in den
Körperzellen des Lieferanten dieser Zellen (Ausnahme
s. o.) auftritt. Diese Tatsache kann insbesondere für
Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden (s. 17. TB
Nr. 6.3 und oben Nr. 6.3). Die dazu erforderlichen Vergleiche lassen sich so durchführen, dass dabei keine Erkenntnisse über Eigenschaften der betroffenen Personen
anfallen. Das gilt auch für eine weitere Nutzungsmöglichkeit des Mustervergleichs, bei der aus dem Vergleich der
Genome verschiedener Personen, Aussagen über deren genetischen Verwandtschaftsgrad abgeleitet werden können.
Bei genomanalytischen Verfahren mit dem Ziel, bestimmte Eigenschaften eines einzelnen Menschen zu erkennen, liegt der Schwerpunkt (noch ?) bei den genetisch
bedingten Risiken oder Anfälligkeiten für Krankheiten.
25.2.1 Die „Entschlüsselung“ des menschlichen Genoms
Im Sommer 2000 machten Meldungen über die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms Schlag-

Drucksache 14/5555

zeilen und fachten die vor rund zehn Jahren bereits einmal
intensiv geführte öffentliche Diskussion über den Umgang mit den aus Genomanalysen zu gewinnenden Erkenntnissen wieder an. Tatsächlich enthielten die Meldungen nur die Aussage, dass die Abfolge der vier insgesamt
etwas mehr als drei Milliarden mal auf den Chromosomen
auftretenden Bausteine des menschlichen Erbgutes –
Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) – für
ein Referenzgenom (fast) vollständig erkundet und kartiert
worden war. Eine Entschlüsselung, also eine die Bedeutung der Reihenfolge der Bausteine offen legende Interpretation war damit nicht verbunden. Gleichwohl ist mit
dieser Kartierung ein Meilenstein der Genomforschung erreicht worden, fünf Jahre früher, als es zu Beginn dieses internationalen Projektes erwartet wurde.
Zeitgleich betriebene Forschungen mit anderen Zielen
führten zu der Entdeckung bestimmter selten vorkommender Sequenzen, deren Auftreten jeweils ein Indiz für
das hohe Risiko der Träger dieses Merkmals ist, dass bei
ihnen eine bestimmte Krankheit ausbricht. Es ist zu erwarten, dass die Kartierung eines Referenzgenoms und
die dabei erfolgreich angewandten Methoden das Gewinnen von Erkenntnissen über den Zusammenhang zwischen besonderen Konstellationen eines Genoms und Eigenschaften seines Trägers erheblich fördern. Auch damit
wird es noch Jahrzehnte dauern, bis das menschliche Genom tatsächlich vollständig entschlüsselt ist. Aber schon
heute ist es notwendig, sich mit den Folgen der bereits erreichten und ständig wachsenden Möglichkeiten zum Gewinnen wesentlicher Teilerkenntnisse zu beschäftigen.
Dafür lieferten die Schlagzeilen dieses Sommers einen
nützlichen Anstoß.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder hat sich an der wieder aufgenommenen öffentlichen Diskussion mit einer Entschließung beteiligt,
die wichtige Ergebnisse früherer Überlegungen wieder
aufgreift (s. Anlage 26).
25.2.2 Kritische Zwecke von Genomanalysen
Jedem Menschen ist sein Genom in ganz besonderer
Weise zu eigen. Das legt es nahe, die neuen Erkenntnismöglichkeiten in erster Linie zu seinen Gunsten zu nutzen. Denn wer seine genetische Konstellation bzw. die daraus abzuleitenden Chancen und Risiken kennt, der kann
sich darauf einstellen und etwa seine Lebensführung so
gestalten, dass er das für ihn Beste daraus macht. Dazu
gehört dann auch, dass er diese Erkenntnisse für seine medizinische Behandlung und gesundheitliche Beratung nutzen lässt. Nicht jeder will jedoch im voraus Einblick in
seine gesundheitliche Zukunft nehmen oder nehmen lassen, und man sollte dazu aus Respekt vor dem Persönlichkeitsrecht keinen Zwang ausüben. Vielmehr sollte die
Freiheit, sein eigenes Genom analysieren zu lassen, nicht
eingeschränkt werden, und diese Entscheidung sollte man
auch nicht durch die Verknüpfung mit positiven oder negativen Konsequenzen lenken oder belasten. Ob und unter welchen besonderen Umständen von diesem Prinzip
abgewichen werden darf, muss bald diskutiert und geregelt werden.

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