Drucksache 16/6880
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Zusammenfassende Bewertung
Nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sind das
Brief- sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich. Die Grundrechtsnorm begründet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen das Öffnen und Lesen von
Briefen sowie gegen das Abhören, die Kenntnisnahme
und das Aufzeichnen des Inhalts der Telekommunikation.
Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst zuvörderst den Kommunikationsinhalt. Die öffentliche Gewalt
soll grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, sich
Kenntnis vom Inhalt des über Fernmeldeanlagen vermittelten mündlichen oder schriftlichen Informations- und
Gedankenaustauschs zu verschaffen. Einen Unterschied
zwischen Kommunikationen privaten und anderen, etwa
geschäftlichen oder politischen, Inhalts macht Artikel 10
GG dabei nicht. Der Grundrechtsschutz bezieht sich auf
alle mittels der Fernmeldetechnik ausgetauschten Kommunikationen. Der Grundrechtsschutz erschöpft sich aber
nicht in der Abschirmung des Kommunikationsinhalts gegen staatliche Kenntnisnahme, sondern umfasst auch die
Kommunikationsumstände. In den Schutzbereich fällt
auch die Erlangung der Kenntnis, ob, wann, wie oft und
zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht worden ist. Die freie Kommunikation, die Artikel 10 GG sichert, leidet, wenn zu befürchten ist, dass der Staat entsprechende Kenntnisse
verwertet. Daher erstreckt sich die Schutzwirkung des
Artikel 10 GG auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von
geschützten Kommunikationsvorgängen anschließt und
in dem Gebrauch von den erlangten Kenntnissen gemacht
wird (zuletzt: BVerfG, 1 BvR 668/04 – Urteil vom 27. Juli
2005, Rd. 81). Das Grundrecht gewährleistet – so das
Bundesverfassungsgericht – die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit
verborgenen Austausch von Kommunikation und schützt
damit zugleich die Würde des Menschen. Wird vom Inhalt von Briefen Kenntnis genommen und werden Telefongespräche abgehört, wird intensiv in das Grundrecht
eingegriffen. Die Schwere des Eingriffs wird auch dadurch geprägt, dass der Betroffene wegen der gebotenen
Heimlichkeit nicht an dem Anordnungsverfahren beteiligt
ist (vgl. BVerfG, 1 BvF 3/92 vom 3. März 2004, in:
BVerfGE 110, 33).
Auf der anderen Seite steht die zentrale Aufgabe der
Sicherheitsbehörden, den Schutz unserer Verfassung zu
gewährleisten, damit Menschenrechte, Freiheit und Demokratie gesichert werden. Diese Aufgabe der Sicherheitsgewährung für die Bürgerinnen und Bürger ist aufgrund der Entwicklung im Bereich des internationalen
Terrorismus seit den schweren Anschlägen am 11. September 2001 zunehmend wichtiger geworden. Die Vielzahl versuchter, aber leider auch teilweise realisierter terroristischer Anschläge allein in Europa in den letzten
Jahren mit einer hohen Zahl von Opfern belegt, wie außerordentlich wichtig es ist, bereits im Vorfeld Informationen zu gewinnen, um derartig schwere Anschläge zu
verhindern und damit einen größtmöglichen Schutz zu
gewährleisten. Die Brief- und Telekommunikationsüber-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
wachung stellt dabei für die beteiligten Dienste ein notwendiges Instrumentarium dar, um den Gefahren frühzeitig begegnen zu können.
Entsprechend dieser Ausgangslage kommt den deutschen
Nachrichtendiensten – aber auch den beteiligten Ministerien sowie den sie kontrollierenden Gremien – eine große
Verantwortung bei der Beantragung, Genehmigung und
Durchführung jeder einzelnen Beschränkungsmaßnahme
zu. Unter Einsatz aller rechtsstaatlichen Mittel haben die
beteiligten Stellen einerseits ein größtmögliches Maß an
Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land zu garantieren und dabei andererseits die Bedürfnisse jedes Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre im
Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung zu wahren. Gerade der Ausgestaltung von Verfahrenssicherungen insbesondere für die G10-Kommission kommt dabei eine herausgehobene Bedeutung zu.
Die Zahl der Grundrechtseingriffe ist im Berichtszeitraum
im Verhältnis zu den Maßnahmen im strafprozessualen Bereich weiterhin relativ gering. Gleichwohl ist – wie bereits in den Vorjahren – ein weiterer Anstieg der Anordnungen festzustellen, der auf die auch in Deutschland
anhaltend bestehende Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus zurückzuführen ist. Vor diesem
Hintergrund waren die getroffenen Beschränkungen des
Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnisses auch
im Berichtzeitraum rechtmäßig, insbesondere geeignet,
erforderlich und angemessen.
I.
Grundlagen der Berichtspflicht
Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem
Deutschen Bundestag nach § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz [G10] vom 26. Juni 2001
[BGBl. I S. 1254, ber. S. 2298], zuletzt geändert durch
Gesetz vom 18. Februar 2007 [BGBl. I S. 106]) jährlich
einen Bericht über die Durchführung sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3, 5 und 8 G10. Dabei
sind die Geheimhaltungsgrundsätze des § 5 Abs. 1 des
Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz [PKGrG] vom 11. April 1978 [BGBl. I S. 453], zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juni 2001 [BGBl. I
S. 1254, 1260]) zu beachten.
Die Verpflichtung zur jährlichen Unterrichtung des Deutschen Bundestages wurde eingeführt durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 [BGBl. I
S. 3186]. Zuständig für die parlamentarische Kontrolle
der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Maßnahmen
zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses war zunächst das sog. G10-Gremium. Entsprechende Berichte des G10-Gremiums sind am 4. Juni
1996 (Bundestagsdrucksache 13/5224) und am
13. Februar 1998 (Bundestagsdrucksache 13/9938) abgegeben worden.
Durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien vom 17. Juni
1999 (BGBl. I S. 1334) sind die Aufgaben des G10-Gre-